1. 1914 - 1920  "Der Judenhaß und die Juden", oder der gesellschaftliche Aberglauben als Hinderniss der Verwirklichung des emanzipatorischen Nationalstaates.

In den Jahren nach dem Erscheinen der "Lehre" versuchte Constantin Brunner in verschiedenen Zeitungsaufsätzen auf die geistige Dimension des materialistischen Weltbewußtseins hinzuweisen. Nachdem Brunner aber feststellen mußte, das z.B. die geistige Gemeinschaft nicht zu realisieren ist, verlegte er den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Kritik des verkehrten Denkens. (1) Gefestigt in dem ausformulierten praktischen Prinzip der Fakultätenlehre, sowie mit der ausdrücklichen Berücksichtigung des Staatsgedankens, wurde der gesellschaftliche Aberglauben, im besonderen der Antisemitismus, zum bevorzugten Untersuchungsgegenstand. Der Judenhaß wurde von Constantin Brunner jedoch nicht in verstreuten Zeitungsaufsätzen behandelt, sondern in dem umfangreichen Buch "Der Judenhaß und die Juden", das bereits 1914 abgeschlossen vorlag, aber erstmals 1918 erscheinen konnte.

Constantin Brunner berücksichtigte den Judenhaß bereits in seiner Studenten- und Literatenzeit. In den folgenden Jahren, von 1895 bis 1908, untersuchte Brunner nicht den Antisemitismus, sondern - wie bereits aufgezeigt wurde - das praktische Denken. (2) Der erste Band der "Lehre", mit dem die erste systematische Ausarbeitung der Philosophie Constantin Brunners vorliegt, zeigt die philosophisch-wissenschaftliche Grundlegung der materialistischen Weltanschauung. In der "Lehre" wird das praktische Denken mit griechischer Philosophie und besonders mit Spinoza, sowie deren antiphilosophischen Gegenpart, unter besonderer Berücksichtigung von Aristoteles und Kant, abgehandelt. In dieser Grundlegung wird die verkehrte Denkweise in ihrer naturwissenschaftlich-metaphysischen Variante, mit welcher das konsequente Kausaldenken des praktischen Verstandes seine verkehrende Behinderung findet, ausgeführt. Darüberhinaus wird in der "Ankündigung" zur "Lehre" das Verhältnis des wahrhaftigen Denkens zum gelehrten und gesellschaftlichen Aberglauben angeführt. Dort wird angedeutet, das dem allgemeinen Denkzustand - dem sein praktisches Denken stets mit dem verkehrt Gedachten vermischt bleibt - das Geistige und die Geistigen lediglich in der Nachahmung aufgeht. Auch das Prinzipielle des praktischen Verstandes systematisch zu erfassen, ist dem jeweiligen Zeitgeist nicht gegeben. Je mehr sich der gelehrte Aberglauben im gesellschaftlichen Bewußtsein, in der Äusserung der naturwissenschaftlichen und philosophischen Metaphysik, etabliert, um so deutlicher wird sich der Gegensinn der modernen Allgemeinbildung zum wahrhaftigen Denken zeigen. Je mehr die fiktiven Theorien der modernen Naturwissenschaft, besonders die monistischen Spekulationen von der allgemeinen Bildung aufgenommen werden, umso mehr wird sich die Möglichkeit ergeben, das die reproduktiv Geistigen, d.h. die praktischen Philosophen, die schöpferischen Künstler und die gottlosen Mystiker in einer geistigen Gemeinschaft zusammenfinden werden. Die geistige Gemeinschaft - welche ihre Grundlage nicht im Prinzip des verabsolutierten Denkzustandes besitzt, sondern, beispielsweise versucht an der Philosophie Spinoza sich reproduzierend zu orientieren - bemühte sich Constantin Brunner in den Jahren 1908 bis 1913 zu verwirklichen. Im zweiten Teil unserer Untersuchung zeigte sich das Scheitern dieser Unternehmung. Die Erwartungen, die Brunner mit dem aufgezeigten Gegensinn des vernünftigen zum gesellschaftlich verkehrten Denken - nicht nur hinsichtlich der geistigen Gemeinschaft erhoffte - erfüllten sich nicht.

Den, verstärkt in der gesellschaftlichen Sphäre sich zeigenden Gegensinn galt es, nunmehr systematisch, aufzuzeigen. Die Erfahrungen, die Constantin Brunner in den Jahren nach dem Erscheinen der "Lehre" machen mußte - das über einen engeren Kreis hinaus weder das Prinzipielle der praktischen Denkweise erfaßt wurde, noch die geistige Gemeinschaft verwirklicht werden kann - erinnerten, den inzwischen einundfünfzigjährigen, an eine Erkenntnis aus seiner Hamburger Literatenzeit. Das Brunner seine frühen Einsichten nicht in der Formulierung der Fakultätenlehre wußte, geht aus den bisherigen Ausführungen hervor. Das aber, bei der Betrachtung des gesellschaftlichen Aberglaubens dem Staat eine wichtige Rolle zukommt, wurde, bei einer Betrachtung des Anarchismus, bereits gefordert. (3) Bei der erneuten Untersuchung des Judenhasses, nunmehr fest in den Prinzipien des praktischen Denkens gründend, fand die Untersuchung des gesellschaftlichen Aberglaubens, aber auch der Staatsgedanke, seine systematische Betrachtung. Mit dem Judenhaß Buch findet das materialistische Verstandesdenken, das von Constantin Brunner in seiner Hamburger Literatenzeit erst ansatzweise in seiner Systematik gewußt wurde und später, mit dem ersten Teil der "Lehre" praktisch-philosophisch geklärt wurde, einen weiteren Abschluß. Mit diesem Abschluß, der staatstheoretischen Darstellung des gesellschaftlichen Daseins, findet zugleich die verkehrende Denkweise, hier vorallem in der Äusserung des Judenhasses und des Zionismus, eine weitere Aufhellung. Mit diesem vertieften, d.h. systematischen Verständnis des materialistischen Weltbewußtseins gelang Constantin Brunner auch das geistige Denken, in der Manifestation des "geistigen Israel", abermals zu behandeln. Besonders im letzten Kapitel des Judenhaß Buches, der "Rede der Juden: Wir wollen ihn zurück!", wird dieses aufgezeigt.

Das 1918 erstmals veröffentlichte Judenhaß Buch besteht aus dem, im September 1917 beendeten Vorwort "Unter dem Krieg" und dem um 1892 geschriebenen Aufsatz "Rede der Juden: Wir wollen ihn zurück!", sowie dem eigentlichen, aus sieben Kapiteln bestehenden Text, der bereits vor dem Beginn des ersten Weltkrieges ausgearbeitet vorlag. Den eigentlichen Text wollen wir zunächst betrachten. In einem ersten Kapitel, "Die Antisemitenfrage", schreibt Brunner: "Die Berechtigung dieses Werkes liegt in der Verbindung der richtigen Bestimmung von der jüdischen Rasse mit der Betrachtung der allgemeinen menschlichen Beschaffenheit." (4) Zur richtigen Bestimmung der deutschen Juden erinnert Brunner an die "Tatsache ... daß die Völker diejenigen Gedanken, welche von ihnen selber als die höchsten und erhabensten bezeichnet wurden und werden, bei den Juden sich geholt haben, und der erlauchteste Name, den die Menschheit zu nennen weiß, ist der eines Juden."  Diesbezüglich ist aber "das geschichtliche Denken, die ganze Weltgesinnung ... ins Schiefe und Verwirrte, in Verdrehung und Widerspruch zu sich selbst geraten; worauf mit gebührendem Nachdruck hingezeigt werden soll." (5) Die "Verdrehung" dieser geschichtlichen "Tatsache" wird von Constantin Brunner mit der verkehrten Denkweise erklärt. Die Träger des verkehrten gesellschaftlichen Denkens waren ihm sowohl nichtjüdische Deutsche, wie auch deutsche Juden, die ihre adäquate Stellung innerhalb der Geschichte und somit auch ihre gegenwärtige gesellschaftliche Stellung verkennen: "wir müssen also ... weitergehen als der antisemitische Nachdenker, der den Juden, oder als der jüdische, der den Antisemiten die Schuld gibt. Es wird sich herausstellen, daß der Antisemitismus zu einer Art von Seelenkrankheit gehört, welche nichts ist als die Steigerung eines der menschlichen Natur grundwesentlichen Zustandes - ... Aus der allgemeinen Beschaffenheit der Menschenseele kann und muß der Antisemitismus erklärt und gezeigt werden, daß und wodurch und zu welchem Ende dabei die Juden die Rolle der Gelegenheitsursache spielen ... Die Juden ein immer noch nicht überflüssig gewordenes Organ - Fata nolens trahunt!" (6) Eigentlich gründen die Urteile des verkehrenden Denken in Wahnideen. "Sie halten im Widerspruch zu den wirklichen Umständen daran fest; da gibt es kein logisches Korrigieren, weil keine logische Beziehung zwischen den Vorstellungen und deren äußerlich wirklichen Anlaß" (7) Eine Aufgabe unserer Abhandlung wird sein, diesen "Widerspruch zu den wirklichen Umständen", in seinem theoretischen Gehalt aufzuzeigen, und somit die freiheitsbehindernde Wirkung des verkehrten gesellschaftlichen Denken, das sich als Denken in Vorurteilen zeigt, aufzuhellen.

Brunner verweisst, nachdem er der modernen Psychatrie die Unfähigkeit zur Klärung des Judenhaßes abspricht, auf die Philosophen - im besonderen auf Spinoza: "Am klarsten sind sich über die Natur des Hasses, die am klarsten sind über die Natur des Menschen: die Philosophen. Die weniger klar sind über die Natur des Hasses oder weniger klar darüber, daß der Judenhaß wirklich nichts anderes ist als Haß und alle Merkmale des Hasses an sich trage, die können auf keinen Fall besseres tun, als den Haß sich beschreiben zu lassen durch einen Philosophen. Am besten natürlich durch den besten, durch Spinoza, den einzigen wissenschaftlichen Seelenzergliederer: >Haß ist Unlust, verbunden mit der Vorstellung von der äußeren Ursache dieser Unlust<" (8) Weil aber der allgemeine Denkzustand nicht nur der praktisch Denkende ist, dieser vielmehr mit dem Denken von Haßurteilen behindert wird, vermag sich die Allgemeinheit weder konsequent rational, noch geistig über seine Vorurteile erheben. Das systematische Verständnis der praktischen Denkweise, mit der auch das verkehrte Denken seine rationale Beleuchtung findet, bereichert aber nicht nur den einzelnen Menschen in seinem egoistischen Streben. Auch das egoistisch-gesellschaftliche Zusammenleben findet in der praktischen Besinnung seine feste Grundlage. Damit auch die vernünftige Definition des Nations- und des Staatesbegriffes. Dem praktischen Denken steht aber im Zeitalter der pseudowissenschaftlichen Allgemeinbildung, z.B. die Rassentheorie, entgegen. Die Rassentheorie, als dem praktischen Denken entgegenstehendes aufzeigen, darlegen, das mit der Rassentheorie die Verwirklichung des modernen Nationalstaates gefährdet wird, ist eine weitere Aufgabe des Judenhaß Buches. Auch diese Angelegenheit "fällt zusammen mit dem Interesse der Wissenschaft, mit der Liebe zum Vaterlande, mit der Pflicht gegen das Vaterland." (9) Es muß klar werden, das der Antisemtismus eine Wortschöpfung des Haßaffektes ist, nicht aber ein praktischer Begriff. Mit den praktischen Begriffen, die, mit der praktischen Besinnung dem Bewußtsein/Denken aufgegangen sind, sind die praktisch gültigen Prinzipien des relativ-materialistischen Weltbewußtseins vorhanden. Das praktische Denken kennt den Antisemitismus als Menschenhaß, mit dem nicht nur das gesellschaftlich-politische Zusammenleben von Deutschen unterschiedlicher Abstammung behindert wird, sondern auch die Wissenschaft der materialistischen Weltanschauung.

Eine weitere gesellschaftliche Äußerung der verkehrten Denkweise ist der unvernünftig gewordene Nationalismus. "Ich auch selber hätte heißgern mich geäußert in diesen großen Tagen. Aber da kann ich nicht mit. Der Ton der Presse ist roher als der des Krieges draußen; und wer nicht mitjohlt, Deutschland ist die Tugend und die andern Länder sind die Verbrecher, der gilt als Vaterlandsverräter. Das treibt mich zurück ins Schweigen, und so mögen alle die kleinen Fichte reden." (10) Constantin Brunner wußte, das die "Rassenhaßtheorie", mit der innenpolitisch gegen die Deutschen jüdischer Abstammung Krieg gemacht wird, solange die Emanzipation des deutschen Volkes nicht behindern wird, solange der militärische Krieg dauert. Bevor nicht die deutsche Presse damit aufhört, ihren unvernünftig gewordenen Patriotismus zu verbreiten ("Deutschland, Deutschland über alles"), solange konnte Brunner seine philosophisch-politischen Überlegungen zum vernünftigen Patriotismus und zum antisemitischen Rassismus nicht veröffentlichen.

Im Frühsommer 1914 deutete Brunner die militärischen Auseinandersetzungen noch als staatliche Notwendigkeit. Nach einen schnellen Sieg, so hoffte Brunner zu diesen Zeitpunkt, könnte seine "Friedensarbeit", die Emanzipation der deutschen Juden und die damit einhergehende kulturelle Entwicklung des deutschen Volkes, sowie die Entlarvungen der Äußerungen der verkehrten Denkweise, fortgeführt werden. Bereits im September 1914 mußte er einsehen, das seine öffentliche "Friedensarbeit" längere Zeit ruhen muß. "Wir hatten den Krieg gewonnen, schon nach dem Durchbruch bei Gorlice; wir hätten einen schönen Frieden haben können. Aber wir haben die Alldeutschen und dadurch haben unsre Feinde die Zeit. Die Zeit will uns nicht wohl." (11) Militärische Kriege und Friedensbeschlüsse wurden von Brunner als staatliche Notwendigkeit beurteilt. Nicht aber ist der Einfluß der "Alldeutschen" in der Politik eine staatliche Notwendigkeit. Erst die deutsche Ablehnung des Friedensabkommen, welche mit dem übersteigerten Patriotismus, dem politischen Hochmut, ermöglicht wurde, versetzte andere Völker in die Situation, das deutsche Volk als Kriegstreiber zu verurteilen.

Dieses Ereignis wurde von Constantin Brunner aufgenommen, um die gesellschaftliche Situation Deutschlands genauer zu beschreiben. Der im Mai 1915 veröffentlichte Aufsatz "Deutschenhaß, Judenhaß und die Ursache des Krieges" zeigt, das nicht nur die deutschen Judenhasser, sondern auch die ausländischen Deutschenhasser Repräsentanten derselben verkehrten Denkweise sind! Was den deutschen Juden vor dem ersten Weltkrieg von nichtjüdischen Deutschen entgegentrat, begegnete nun dem deutschen Volk. Obwohl die von dem innerdeutschen Haßurteilen erzeugten gesellschaftlichen Polaritäten zur Ruhe kamen, bleibt Brunner realistisch: "gleich nach dem Schluß mit dem Kriegszustande kommt der einheimische Ferienhaß, der ausgeruhte, wieder an die Reihe ... wir leben noch auf der alten Welt der Bewegung." (12) Diese realistische Einschätzung der  gesellschaftlichen Sphäre ist ein Ergebnis des praktischen Denkens. Nach der außenpolitischen Friedenssicherung wird aber nicht nur der innenpolitische Aberglaube wieder vorhanden sein, sondern auch die Möglichkeit, denselben, z.B. als dem praktischen Nation- und Staatsbegriff entgegenstehendes, zu entlarven.

Im zweiten Kapitel des Judenhaß Buch wird der praktische Rassenbegriff bestimmt - und vom antisemitischen Rasseverständnis abgegrenzt! Die von Constantin Brunner durchgeführte Bestimmung des praktischen Rassenbegriffes wird nur dann produktiv begriffen, wenn das Prinzipielle des praktischen Verstandes, berücksichtigt wird. Ohne den gewichtigen Ausführungen des veröffentlichten Teils der Fakultätenlehre wird der adäquate Stellenwert des relativen Denkens, des in und mit der Erfahrung gegebenen Vorgestellten, nicht erreicht. Wird aber das relative Denken der Dinge/Vorstellungen nicht prinzipiell erfaßt, werden zwangsläufig auch die gesellschaftlichen Äusserungen der verkehrten Denkweise mißverstanden. "ich ... sage, die Menschheit hat keine Rassen; sie ist als Menschheit, d.h. nach ihrer relativ dinglichen Existenz und nach ihrem Bewußtsein von dieser relativen Welt, nach ihrem Fühlen, Wissen, Wollen, nach dem ganzen Umfang ihrer Beziehungen zur Relativität - und damit haben wir es zunächst zutun, nicht mit ihrem Verhältnis zum Absoluten und zum fiktiv Absoluten - die Menschheit ist eine einheitliche Menschheit. Die Verschiedenheiten sind nur die die Oberfläche ... (13) Es gibt keine feststehenden menschlichen Eigenschaften, mit denen Menschen in unterschiedliche Rassen eingeteilt werden könnten. Sehr wohl gibt es Unterschiede des "einheitlichen Menschentyps". Unter denselben gesellschaftlichen Bedingungen würden alle Menschen die gleichen Eigenschaften entwickeln. Gegensätzlich sind die tatsächlich in der Gesellschaft anzutreffenden Unterschiede. Nicht aber darf aus diesen Unterschieden die "einheitliche Menschheit" abgeleitet werden. "Einheit des Menschengeschlechtes, wie wir sie annehmen, bedeutet, im Gegensatz zur Annahme von festen Menschenrassen, daß alle Menschen unter denselben Verhältnissen und Entwicklungsbedingungen rassenlos gleich wären ... (14)

Der praktische Rassenbegriff gründet nicht nur in der konsequenten Einsicht, das der gesellschaftliche Faktor ein relativer ist, sondern auch in dem Begriff des "einheitlichen Menschentyps". In der Lebenspraxis müssen die gesellschaftlich bedingten Unterschiede, die als "Oberfläche" des "einheitlichen Menschengeschlechts" vorhanden sind, als Relative berücksichtigt werden. Nur das praktisch materielle Denken kann, weil dieses von vielen Äusserungen der verkehrten, d.h. der verabsolutierenden Denkweise bereinigt ist, die Relativität dieser tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Unterschiede prinzipiell erfassen. Nur der relativ-materialistischen Weltanschauung geht - in der praktischen Besinnung - auf, das die tatsächlich vorhandenen gesellschaftlichen Unterschiede der Bevölkerungsgruppen keine feststehenden, d.h. absoluten Gegensätze sind. Dieser praktische Rassenbegriff wird von Constantin Brunner bei der Definition des Nationsbegriffes berücksichtigt. Ja, für den Nationsbegriff ist die Berücksichtigung des praktischen Rassenbegriff unverzichtbar. " ... und Abstammungsunterschiede hindern nicht die nationale Einheit; die deutsche Nation ist deutsche Nation, trotzdem sie gebildet wird aus Deutschen von verschiedener, von germanischer, slavischer, jüdischer u.s.w. Abstammung." (15) Werden die Unterschiede der die Gesellschaft bildenden Bevölkerungsgruppen in ihrer Relativität prinzipiell erfaßt, wird auch die gesellschaftliche Sphäre, vom verkehrten Denken befreit, begriffen.

Nachdem die Relativität der gesellschaftsbedingten Bevölkerungsgruppen dargelegt wurde, versucht Brunner den "jüdischen Typus" näher zu bestimmen. Wir sind uns klar, das der Versuch, die Eigenschaften einer Bevölkerungsgruppe herausstellen, keine moralische Wertung beinhaltet. "Es gibt keine reinen Rassen, und auch die jüdische kann nur die verhältnismäßig reinste unter allen Rassen genannt werden. Die aber ist sie tatsächlich geblieben. Ihr eigener Wille und der Wille der übrigen Rassen hat dafür nach Möglichkeit gesorgt." (16) Die geschichtliche Entwicklung des kulturellen Verhältnisses der nichtjüdischen Völker zu Menschen jüdischer Abstammung verhindert die Zurechnung von gesellschaftlich bedingten Eigenschaften, die allein Juden zu kommen könnten. Brunner schreibt: "Warum gelingt es nicht, den jüdischen Typus zu kennzeichnen, der doch ein spezifischer Typus von so charakteristischer Ausprägung ist? Ganz einfach darum nicht, weil er die Mitte hält zwischen den Menschentypen, die Verschiedenheiten aller an sich tragend, und weil der jüdische Typus den Durchschnittstypen aus den sämtlichen Rassen zeigt. Dieses von allen Rassen An-Sich-Haben ist der Juden Rassesein, ihr anthropologisch homogener Typus. In der Tat. Der spezifisch jüdische Durchschittstypus, das ist kein andrer als der Durchschnittstypus der Menschenrassen ..." (17) Mit dem praktischen Rassenbegriff werden die, innerhalb der gesellschaftlichen Lebenswelt bestehenden Unterschiede adäquat, d.h. als Gleichberechtigte berücksichtigt. Mit der weithin verbreiteten verkehrten Denkweise, von welcher der antisemitische Rassebegriff nur ein besonderer Fall ist, werden dieselben Unterschiede nicht mehr in ihren relativ-gesellschaftlichen Charakter erfaßt. Merkmal der verabsolutierenden Denkweise ist: eine vorhandene gesellschaftsbedingte relative Eigenschaft soll einer Bevölkerungsgruppe vorbehalten bleiben, durch die diese "besser" sein soll, als eine andere Menschengruppe, die dieses Merkmal nicht besitzen soll und deswegen als "minderwertig" gelten soll.

Nicht nur dem verabsolutierten Denken, hier also in der antisemitischen Äußerungsweise, auch dem praktischen Rassenbegriff kommt, für die adäqaute Definition des Nations- und des Staatsbegriffes, eine auschließlich negative Bedeutung zu! "Das Wort von der Rasse geht uns im Staate und der Nation nichts an, am wenigsten das Wort von der herrschenden Rasse - ... der Rechtsstaat kennt nur Individuen, keine Rassen, das Recht gilt im Rechtsstaate für alle Individuen gleich - das ist die ratio juris, daß das Recht für alle Individuen gleich gelte. Auch die Nation kennt nur Individuen, keine Rassen. Eine Nation bilden die durch eigengeartetes Gemeinschaftsbewußtseinund durch Verantwortungsgefühl untereinander verbundenen und für einandereinstehenden Bürger eines Staates ..." (18) Die Grundlage des Rechtsstaates, sowie der Nation ist der vernünftige, d.h. rassenlose Begriff des Rechtes. Aus den gesellschaftlichen Bedingungen die Rechtsstaatlichkeit und den Nationsbegriff abzuleiten, zeugt von der verkehrten Denkweise. Die vernünftige Definition des modernen Rechtsstaates berücksichtigt, das die Unterschiede der Bevölkerungsgruppen relativ sind, das die in der Gesellschaft vorhandene Ungleichheit zum Maßstab des Staatsrechtes nicht genommen werden dürfen.

Werden die Staatsgesetze aus den relativen und/oder verabsolutiert begründeten Urteilen abgeleitet, steht die Idee der "Einheit des Menschengeschlechts" und somit die praktische Rechtsstaatlichkeit nicht mehr in Macht. Die souveräne Rechtsstaatlichkeit, sowie der vernünftige Nationalismus ist nur dann vorhanden, wenn die in der Gesellschaft vorhandenen Unterschiede prinzipiell, das heißt als Gleichberechtigte begriffen wurden. "Und nun sind wir uns klar geworden, wie es mit dem Rassenbewußtsein im Verhältniss zum staatlich nationalen oder zum Vaterlandbewußtsein steht, und können die Sache festmachen: ... Das Rassebewußtsein und das staatliche Bewußtsein ist zweierlei. ... Das Rassenbewußtsein, die Rassenüberlieferung, die Rassenerinnerung gibt Zusammenhang nach der Abstammung und weist in die Tiefe der Zeiten, ohne das damit auch nur das Geringste beigetragen würde zu dem, was Nation und Staat leisten: ... Mit einem Worte: die Rasse gehört ... zu jenen Lebenskreisen, die als Gesellschaft vom Staat unabhängig sich hält." (19) Constantin Brunner unterscheidet die Defintionen der Gesellschaft und des Rechtsstaates grundsätzlich. Was im Rechtsstaat gilt: genauer gelten soll; Gleiches Recht für die unterschiedlichen Individuen, gilt in der Gesellschaft nicht. Unabhängig vom Einfluß moderner Rechtstaatlichkeit verbleibt die gesellschaftliche Sphäre der verabsolutierenden Denkweise verbunden. Die Gesellschaft könnte erst dann befreit von den Äußerungen der verkehrten Denkweise gelten, wenn den Individuuen die praktische, d.h. die relative Denkweise prinzipiell aufgegangen ist.

In der Gesellschaft herrschen die Vorurteile des Einzelnen und die der unterschiedlichen Gemeinschaften, Verbände, Parteien. Das Staatsrecht kann nicht aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen abgeleitet werden, die potentiell, und unter bestimmten Bedingungen, aktuell rassistisch sich äußern können. "... das Rassenbewußtsein hat nicht diesselbe Wurzel in uns wie das staatliche Bewußtsein." Das wenig verbreitete konsequente Denken der relativ-materialistischen Weltanschauung ist also gekennzeichnet durch die Einsicht, das weder dem praktischen, noch dem verabsolutierten Rassenbegriff bei der Definition der Nation und des Staates eine positive Bedeutung zukommt. Das die Gesellschaft nicht nur vom praktischen Denken beeinflußt ist, zeigt der Wandel der Äusserungen der verkehrten Denkweise. Da mit dem nachlassenden Einfluß der Religion, wie auch mit der gesetzlichen Gleichstellung der Juden, wenigstens ein bescheidener Wandel zur emanzipatorischen Gesellschaft einsetzte, mußten Antisemiten ihre Vorurteile anders begründen. "Mit dem Judenhaß nähmlich, der danach strebt, das alle die hassen, die er selber haßt, geht es keineswegs zu allen Zeiten gleich gut; früher, in den Zeiten der Religionen, haßten alle die Juden, jetzt nicht mehr; der Judenhaß muß also wieder seine Daseinsberechtigung nachweisen, er bedarf einer neuen Maske. Mit den Juden soll es denn jetzt kommen (so möchten die Judenhasser) aus der Religionsverfolgung in die Rassenverfolgung; eben weil es mit der Religionsverfolgung nicht mehr geht." (20) Constantin Brunner ist 1918, betreffend des "Rassenhaßfanatismus", noch zuversichtlich. Die Rassentheorie war ihm 1918 die Angelegenheit einer kleinen gebildeten Gesellschaftsschicht, welche sich nicht den Einfluß verschaffen wird, den der Religionsfanatismus bereits geschichtlich erreichen konnte. Die Rassentheorie "entbehrt des positiven Grundes und Kerns, ihr Pathos ist hergeholt nur aus der Negation, aus der Feindseligkeit gegen Menschen, womit sie, soweit Menschen des Vaterlandes in Betracht kommen, dem Prinzip des Rechtsstaates und dem Begriff der Nation widerspricht."(21)

Der allgemeine Denkzustand kann sich nicht auf das Prinzip der Rechtsvernunft, das Staatsrecht weder aus den praktischen Urteilen, noch aus den verabsolutierten Vorurteilen abgeleitet wird, besinnen. Der Allgemeinheit ihre Unfähigkeit zum konsequent rechtsstaatlichen Weltbewußtsein ist prinzipiell nicht aufhebbar. Die Unveränderlichkeit der verkehrten Denkweise, deren Äußerungsweisen sich unterschiedlich zeigen, steht dem entgegen. "Und so tritt denn ganz naiv und neu der Versuch der Rassenunterdrückung an die Stelle der Religionsunterdrückung; nachdem kaum festgestellt worden, daß die Nation mit der Religion nichts zu tun hat und noch viel daran fehlt, diese Einsicht ganz und gar in die Praxis umzusetzen, lauert bereits die Rassentheorie als neuer Störenfried. Es ist der alte Haß  in verändertem Kleide." (22) Ein wesentlicher Faktor der praktischen Philosophie Constantin Bruners besteht in dem Nachweiß, das die moderne Bildung zur Berichtigung individueller und gesellschaftlicher Vorurteile nur selten befähigt. "Eben deshalb ist das Vorurteil so stark, weil das Urteil so schwach ist, oder mit anderen Worten: weil sowenig gedacht wird." Zuwenig gedacht wird, z.B. an die Idee der modernen Rechtsstaatlichkeit.

Wenn gewußt wird, das mit der Rassentheorie das Prinzip des modernen Rechtsstaates und des damit vorhandenen adäquaten Nationsbegriffes nicht gefunden werden kann, wird auch verstanden, warum das Verhältnis der Gesellschaft zum modernen Staatsgedanken allgemein kein konsequent vernünftiges ist. Wer, in den Prinzipien des praktischen Verstandes gründend, den geschichtlichen Stellenwert der verkehrten Denkweise, auch in der Äußerung des Judenhaßes begreifen konnte, "der wird das Vorurteil und den Haß gegen die Juden, gegen Menschen mit auffälliger Eigentümlichkeit, gegen die im Aussehen und am Namen kenntlichen, keinen Augenblick unverständlich finden. Doch ehe es damit weiter geht, ist noch mancherlei zu sagen: daß am wenigsten die Juden hier etwas bestaunen sollten, vielmehr vor allem sehen mehr noch auf den Haß und das Vorurteil der andern gegen sie, auf ihr eignes Angestecktsein davon. Was sich uns da jetzt entgegenstellt auf dem Wege, das sind Juden. Juden, die von allem Judenhasserischen wissen bereits ganz so, wie die Antisemiten davon wissen; selbst von der Verjudung der Deutschen wissen sie, nur nicht von ihrer eignen Verantisemitung ... Mancher spielt dumpf-düster die Rolle des zum Leben verurteilten Ewigen Juden und fühlt sich darin schon bald so unglücklich wie der zu den Juden verurteilte Antisemit. Ja, da haben wir einander werte Gesellen, die sich gegenseitig als närrisch und niedrig verraten." (23) Nicht nur die aktiven deutschen Judenhaßer, als eine Minderheit des nichtdenkenden deutschen Volkes, auch das verkehrte Denken deutscher Juden wurde von Constantin Brunner bei der Untersuchung des gesellschaftlichen Aberglauben mit einbezogen.

Und so gelangen wir zum dritten Kapitel, "Die angesteckten Juden." Die deutsche Allgemeinheit und im besonderen die Antisemiten, aber auch die am Judenhaß verrückt gewordenen deutschen Juden, verkennen also das Prinzipielle des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens. Somit können die Repräsentanten dieser gesellschaftlichen Interessengruppen keine konsequent praktisch denkenden Menschen sein, somit auch keine Vertreter des vernünftigen Rechts-/Nationsbegriffes. Die rationale Bestimmung der gesellschaftlichen Sphäre gründet nicht zuletzt in einer geschichtlichen Erkenntnis : "die ewige Völkerwanderung ist ewig völkervermischend und Staaten bildend; die Geschichte der Menschheit ist die Verschiebung und Kreuzung der Völkerbestandteile, die in immer neu sich bildenden Staaten zu organischen Einheiten" verschmelzen.(24) Mit dem Zionismus verdeutlichte Constantin Brunner den gesellschaftlichen Aberglauben, der in Deutschland lebenden Juden. Im Besonderen mit dem aus den Osten eingewanderten Juden - die sich vermehrt an "das zweite Pferd am Unglückswagen", dem Antisemitismus, spannen lassen - fand Brunner die kulturelle Entwicklung Deutschlands behindert. "Der Zionismus und der Judenhaß hängen aber auf engste zusammen, wie Ursache und Ursache. Der Zionismus ist die verkehrte Reaktivität der Juden, der Hereinfall der Juden auf den rassentheoretischen Judenhaß, - solcher Juden, die nicht einsehen können, daß es mit der Emanzipation langsam geht und unmöglich ohne Rückfälle vorangehen kann; welche Rückfälle also, bei der Natur der Menschheit und ihrer Geschichte, von psychologischer und historischer Berechtigung und Notwendigkeit sind." (25)

Aber nicht nur die Rassentheorie und der Zionismus, die von Constantin Brunner aus einer einzigen, der verabsolutierenden Denkweise, abgeleitet werden, sind Äußerungen des gesellschaftlichen Aberglaubens. Brunner verdeutlichte die verkehrte Denkweise auch mit mit einer "Sorte literarischer Kritik, die nicht auf den geistig-sittlichen Wert oder Unwert einer Leistung sieht, sondern für ihre Aufgabe hält, blindlings alle Leistungen als geistig und sittlich minderwertig zu verdammen, die von einer gewissen Gruppe Menschen herrühren. ... - von welchen jene Kritiker behaupten, daß sie durch die ganze Geschichte hindurch in ihrem Charakter konstant geblieben seien." (26) Die Literaturkritik Brunners, die ebenfalls in der Fakultätenlehre gründet, zieht - hinsichtlich der Fakultät des Geistes - eine radikale Konsequenz. Eben die Scheidung der Geistigen vom Volk. In diesem Kapitel wird aber die Literaturkritik hinsichtlich der nichtdenkenden Juden, den Zionisten, berücksichtigt. Diese lassen sich von der antisemitischen Literatur um ihren Anteil in der deutschen Kultur bringen. Das verdeutlicht Constantin Brunner mit Heinrich Heine. Auch in diesem Zusammenhang betont Brunner, das Deutschland nicht von den am Judenhaß verrücktgewordenen deutschen Juden repräsentiert wird. "Durch keinen der jüdischen Narren ... werden die Deutschen jüdischer Abstammung repräsentiert, sondern ganz allein durch solche Juden, welche Deutsche jüdischer Abstammung ebenso sind wie sie als solche sich fühlen und wissen ... und die weder durch Judenhaß noch durch Zionismus sich schwächen lassen - noch auch durch das Ästhetentum." (27)

Die deutschen Juden werden also weder von den Vorurteilen der deutschen Judenhaßer, noch von den Vorurteilen der zionistischen Repräsentanten repräsentiert. Ihre Interessen kommen ebensowenig in einer jüdischen politischen Partei zum Tragen. Deswegen sei wichtig, das die nicht in den Vorurteilen befangenden deutschen Juden ihr Anliegen in einer Interessengemeinschaft vertreten. "Wer vertritt ihre Interessen, wer spricht denn überhaupt über die deutschen Juden außer den Judenhassern und - außer solchen, die in der Wahrheit ganz anderes vertreten als die wirklichen Interessen der deutschen Juden: die aber für die Vertreter der deutschen Juden genommen werden und damit deren Lage noch verschlimmern." (28) Angesichts dieser Beurteilung zog Constantin Brunner, für die osteuropäischen Juden, "eine Siedlung mit Selbstverwaltung unter Staatshoheit eines der bestehenden Staaten ... (in Betracht, R.K.) ... Aber was hat eine derartige jüdische Siedlung mit der Pseudonationalidee der Zionisten zu schaffen? die ebenso so närrisch und gefährlich ist, wie es unter diesen Zionisten bereits unleidliche Chauvinisten gibt, deren zionistische Betätigungen gegen Nichtzionisten manchmal nicht besser sind als Antisemitismus." (29)

Damit die gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands gedeihen kann, muß außerdem die Stellung der politischen Parteien und ihr Verhältnis zum Nations- und Staatsgedankens genauer untersucht werden. Im vierten Kapitel "Der Staat und die politischen Parteien" behandelt Constantin Brunner den Staat und die Parteipolitik als Notwendigkeit der Gesellschaft. Ausgehend von den Grundlagen der materialistischen Weltanschauung wird gezeigt, das "der Staat ... ebenfalls unser Egoismus (ist, R.K.). Der Staat ist der allgemeine oder zweite Egoismus, ohne welchen der erste der einzelnen Menschen und also überhaupt menschliche Lebensfürsorge unmöglich wäre. Dem Kampfe aller Lebewesen gegen alle Lebewesen, woraus die völlige Lebensunmöglichkeit der einzelnen Egoisten sich ergibt, steht gegenüber die Hilfe aller durch alle." (30) Der Rechtsstaat ist Ergebnis der individuell-egoistischen Lebensweisen des gesellschaftlichen Dasein. Da die "Hilfe aller durch alle" bei Constantin Brunner mit dem modernen Nationalstaat begründet wird, verstehen wir seine negativen Äußerungen zu allem, was er unter dem Begriff des Anarchismus subsumiert. Der große Unterschied des modernen Staatsbegriffes von vorherigen Staatsauffassungen ergab sich ihm mit dem modernen Nationalitätsbegriff. Beispielsweise konnte sich in den Fürstenstaaten deutscher Nationalismus nicht entwickeln. Dort waren die Menschen Untertanen. "Ohne die Nation bleibt der Staat unverständlich, denn der Staat ist keineswegs ... wie der Naturrechtler Kant meinte, eine Beliebigkeit zusammengewürfelter Menschen unter Rechtsgesetzen, ... sondern er ist der Organismus, den die Nation schuf und erhält, er ist die Nation selber, durch die Nation allein vollzieht sich der Staat, wird wahrhaft die Einheit des Staates gebildet." (31) Brunner lehrt, das es notwendigerweise einen postiven Zusammenhang von Nation und Staat gibt. Somit grenzt sich sein Staatsverständnis von den negativen und positiven Naturrechtlern ab. Die negativen Naturrechtler setzen Anarchismus vor der Rechtsphilosophie und dem Staatsbegriff: um den Staat als Bezwinger des Naturrechts - das von ihnen als anarchistisch postuliert wird - zu rechtfertigen. Die positiven Naturrechtler wollen den Naturzustand, in ihrem Verständis die Anarchie rechtfertigen: um die Rechtsphilosophie und den Staat - der ihnen der Unterdrücker der Anarchie/Freiheit ist - abzuschaffen.

Nach Brunner bezieht aber das Staatsrecht seine Macht weder aus der postulierten Polarität der Rechtsphilosophie gegen das Naturrecht, noch aus dem anarchistischen Naturrecht gegen den positiv postulierten Staatsgedanken. Nicht mit einem Alleinherrscher, nicht mit einem Obrigkeitsstaat, auch nicht mit der anarchistischen Abschaffung des Staates kann der Rahmen der zuverwirklichenden gesellschaftlichen Freiheit vorhanden sein. Den einseitigen Rechtsphilosophen, wie auch den Anarchisten mangelt die Einsicht, so meint Brunner, das erst mit dem vernünftigen Nationalitätsbegriff das Staatsrecht gesellschaftlich in Macht steht. Auch deswegen wird der Nationalismus von Brunner postiv bewertet und von den unterschiedlichen Äußerungen der verkehrten Denkweise abgegrenzt. "es kann, soll und muß in unsren modernen Staaten von den Nationen mehr gefühlt und gewußt werden! Der Begriff des modernen Rechtsstaates fordert das nationale Bewußtsein ... und dieses Bewußtsein muß hoch gesteigert sein gegenüber der neuen großen Gefahr, die mit den neuen Staaten heraufkam. Die neuen Staaten, mit ihrem Rechte und ihrer Freiheit aller Individuen (und ihrer allgemeinen Bildung, die sehr viele nichtnutzige Psychologisierer, unzufriedene Utopisten und Empörer macht und wo neuestens eine so unheimliche Wirkung der Kopfkranken auf die Kopfschwachen sich äußern beginnt), unsere Staaten haben noch einen andern Feind außer dem von außen herankommenden - den im Innern lauernden Feind des mißverstandenen Individualismus, der die Gesellschaft auf das Naturrecht stellen will als auf den Staat." (32) Den "mißverstandenen Individualismus" konkretisierte Brunner nicht nur mit dem Staatsbegriff der Anarchisten und Rechtsphilosophen. Angeführt wird auch das "Ästhetentum" Nietzsches, die einseitige Emanzipation der Frau und des Kindes sowie der "Rassen-Individualismus".

Aber auch die, in der verkehrten Denkweise gründene, verabsolutierte Parteipolitik steht für die Verfehlung des modernen Nationalitäts- und Staatsbegriffes. Dieses wird im dritten Abschnitt des vierten Kapitels erläutert. Das die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei vom jeweiligen Lebensintersse des einzelnen Egoisten und seiner gesellschaftlichten Schicht bestimmt wird, das dieses jeweilige Lebensinteresse ein gesellschaftlich Gleichwertiges ist, wird selten berücksichtigt. Die "Idee vom Geiste des Vaterlandes" wird aber verfehlt, wenn das Interesse einer politischen Partei nicht mehr das Interesse der anderen politischen Parteien praktisch berücksichtigt. "Keine der drei Parteien scheint Partei sein zu können anders als mit Entehrung von zwei Parteien ... das Ideal wäre: ein in allen seinen Gliedern bewußt organischer Staat, d.h. eine von dem Bewußtsein und dem Geist ihres Staates durch und durch erfüllte und ganz und gar der Arbeit für ihn lebende Nation." (33) Je mehr aber die parteipolitische "Teutschtümelei" als Verkehrung des vernünftigen Staats-/Nationsgedankens erfaßt wird, um so mehr werden die politischen Parteien in Deutschland deutschnational sein. Weil sich bei Constantin Brunner das gesellschaftliche Leben des Staates mit den drei Parteien der Konservativen, der Sozialdemokraten und der Liberalen entfaltet, muß als Eigenschaft nationaler Parteipolitik festgehalten werden: "Alle drei Parteien müssen patriotisch, und der Patriotismus muß parteilos bleiben; so lautet der erste Satz der Nationalpolitik aller drei Parteien." (34)

Der moderne Staatsgedanke wird 1918, so fand Constantin Brunner, nicht nur von kleineren Interessengruppen, den Antisemiten sowie den Zionisten verfehlt. "Die Unanständigsten und Leichtfertigsten im Umherwerfen mit Vaterlandslosigkeit sind heute (nächst den Antisemiten) die Konservativen - noch bis 1866 waren die Konservativen "die Reichsfeinde", heute sind sie die Monopolisten der Vaterlandsliebe, die sich gebährden, als hätten sie allein wirklich Deutschland zum Vaterlande." (35) Wenn die Konservative Partei mit den Antisemiten in der Judenfrage zusammen geht, verläßt sie den Charakter einer politischen Partei. Die Forderung der Antisemiten, das die Rechtlosigkeit der deutschen Juden Bestandteil des deutschen Rechtsstaates werden soll, ist keinesfalls eine politische Forderung. Ist ein Beweis von gesellschaftlicher "Entartung". Wird das Staatsrecht auf den Haß, soll die Staatsgesetzlichkeit zugunsten des Naturrechtes abgeschafft werden, herrscht nicht patriotische Parteipoilitik, sondern der "gesellschaftliche Irrsinn", der von Brunner auch als Anarchie bezeichnet wird. "Den  Konservativen wünsche ich dasselbe, was ich auch der Sozialdemokratie und den Liberalen wünsche: je ihre Parteipolitik; wobei sie nur den guten Führern folgen mögen, an denen es ja in keiner der Parteien fehlt." (36) Brunner erinnert hier daran, das die drei politischen Parteien von deutschen Juden mitbegründet wurden. Die konservative und die antisemitische Forderung nach der Rechtlosigkeit der Juden vermeinte einen Bevölkerungsteil ihre staatliche und gesellschaftliche Berechtigung nehmen zu können. Es ist verständlich, das Constantin Brunner nicht nur die theoretische Klarheit des Nationalitätsbegriffes und den damit vorhandenen Staatsgedanken einforderte, sondern auch die praktische Parteipolitik. Damit gewann Constantin Brunner die politische Grundlage, auf der er die bestehene Parteienlandschaft, welche sich, z.B. hochmütig deutschnational äußert, kritisieren konnte.

Das die antipolitischen und antistaatlichen Versuche der Antisemiten und der Konservativen der jüngeren deutschen Geschichte entgegenstehen, wird von Constantin Brunner im fünften Kapitel gezeigt. "Die ganze Geschichte aber des neuen deutschen Reiches, welches die Geschichte der Deutschen ist, haben, seit jenen Tagen der Grundlegung, die Deutschen jüdischer Abstammung mit den übrigen Deutschen gemein ... seitdem sind die jüdischen Deutschen deutsch und nichts als deutsch." (37) Die politische Erinnerung der jüngeren deutschen Gesellschaft geht aber nicht in die Tiefe des gemeinsamen abendländischen geistigen Erbes. Die individuelle, wie auch die gesellschaftliche Erinnerung ist vielmehr mit der "Rasse im politisch-ethnischen Sinne" vorhanden. Genauer: ihre, seit 1870/71 begonnene deutsche Geschichte ist allen Deutschen, egal welcher Abstammung,  näher, als die vom verkehrten Denken unverstellte geistige Besinnung. Der geistige Gehalt des gesellschaftlich bedingten abendländischen Menschen manifestierte sich philosophisch erstmals mit den griechischen Denkern und mystisch, mit den jüdischen Propheten. "Die Rasse im anthropologischen Sinne, die angeborene Rasse, hat mit der Rasse im politisch-ethnischen Sinne, welche letzte angesäugt und anerzogen wird, nichts gemein ..." (38) Der historische Bezug zum griechischen Denken wird im Judenhaß Buch nicht ausführlich ausgearbeitet. Wohl aber berücksichtigt Brunner bei seinen weiteren Ausführungen - besonders im letzten Kapitel - die jüdisch-christliche Religion und den jüdisch-christlichen Prophetismus. Somit verschiebt sich auch die Darstellung der Gesellschaft, "der Rasse  im politisch-ethnischen Sinne", im Judenhaß Buch. Das geistige Denken, die "Rasse im anthropologischen Sinne", wird bei der Behandlung der gesellschaftlichen Sphäre, bei der Bestimmung der gesellschaftlichen Unterschiede und der Definition des Staats/Nationsbegriffes berücksichtigt. Die deutschen Juden sind nicht deswegen deutschnational, weil ihre Herkunft das Judentum ist, sondern, weil sie in dem anerzogenen politisch-ethnischen Rassenbewußtsein aufgegangen sind. Nicht die "angeborene Rasse", sondern die moderne Staatsgesetzlichkeit, die vom vergesellschafteten Individium - im Idealfall des Denkens - als Ausdruck gegenseitiger menschlicher Hilfe verstanden wird, ist der Garant der modernen Nationalität.

Staatsrechtlich-Formal ist die moderne Nationalität seit 1870/1871 vollendet. Damit ist ein gewaltiger Schritt in der kulturellen Entwicklung Deutschlands gegangen. Da die kulturelle Entwicklung Deutschlands ihre Lebendigkeit aber nicht von dem staatsgesetzlichen Rahmen, sondern vom Entwicklungszustand der deutschen Gesellschaft bekommt, ist die Emanzipation defacto nicht vollendet. Nicht die emanzipierte Gesellschaft - welche den Staat als ihren Gesamtegoismus und den "verkehrten Individualismus" als Behinderung der gesellschaftlichen Entwicklung kennt - ist vorhanden, sondern die mannigfaltigen Äußerungen der verabsolutierten Denk-/Lebensweise bestimmen den gesellschaftlichen Alltag und die allgemeine Staats/Nationsauffassung. Das Ziel ist von Constantin Brunner formuliert wurden, aber auch das Hinderniss. Das deutsche Volk wird auf seinem Weg zur modernen Rechtsstaatlichkeit vom verabsolutierenden Denken behindert. "Der Fortgang war der von Zerrissenheit in Staaten (ohne Nation und ohne politische Parteien) zur Einheit des neuen deutschen Rechtsstaates mit einer Nation, die aber zerrissen ist in Parteien, und der Fortgang ist nun weiter zur Einigung der Parteien (nicht zur Aufhebung ihrer Besonderheit), zur innerlichen einigen Nation, damit die Nation der Staat sei, und dadurch der Staat mehr Staat werde, immer mehr als Rechtsstaat ausgebaut werde. Die Judenhasser können das nicht hindern ... es hat sich gebessert dadurch, das beständig für die Idee und für das Ideal, für das dem Blicke Unsichtbare, gekämpft worden ist. Und so mögen auch die Juden, anstatt zu jammern über das noch nicht Erreichte, weiter darum kämpfen ... für die wahrhafte Einheit Deutschland kämpfen und für seine wahrhaftige Freiheit, und mögen die auf die Verwirklichung des Rechts- und Freiheitsstaates gerichtete nationale Kraft stärken." (39)

In den bisherigen fünf Kapiteln wurde wiederholt auf die verkehrte Denkweise, in denen die unterschiedlichen Äußerungsweisen letztendlich gründen, hingewiesen. Die Rassentheorie der Antisemiten, der ausländische Deutschenhaß, der Seperatismus der Zionisten, die unterschiedlichen Versuche einiger Interessengruppen, welche die Gesellschaft auf das Naturrecht gründen wollen, aber auch das antipatriotische Parteienverständnis zeigten sich als Hinderniße den modernen Staatsgedanken als den gesamtnationalen Ausdruck der emanzipierten Gesellschaft zu begreifen. Im sechsten Kapitel, "Das Vorurteil und der Haß", werden nicht mehr diese unterschiedlichen Äußerungsweisen dargelegt. Vielmehr wird die Basis dieser Äußerungsweisen herausgearbeitet. Damit kommen wir zum, wie ich ihn nennen möchte, philosophisch-praktischen Teil des Judenhaß Buches. Zunächst wird abermals auf die unterschiedlichen Eigentümlichkeiten, wie diese sich gesellschaftlich entwickeln, hingewiesen. "Daß nun jede Rasse, jede Nation, jeder Stamm ... jede Gruppe, jede Familie und zuletzt jeder Mensch seine besonderen Eigentümlichkeiten besitzt, das ist Tatsache ebenso, wie Tatsache ist, daß alle Rassen, Nationen ... Familien, Individuen eines gemeinsam haben: sich nähmlich mit ihrer Eigentümlichkeit, als der gehörigen, über die der andern, als der ungehörigen, zu erheben, von ihrem egoistischen Bewußtsein aus Kritik an den andern zu üben." (40) Das die jeweiligen Eigentümlichkeiten als die jeweiligen Richtigen, und die der Anderen als die entgegengesetzten postuliert werden, ist der Normalzustand nicht nur des individuellen, sondern besonders des gesellschaftlichen Menschen. Das der Egoismus das Prinzip des materialistischen Bewußtseins ist, das dieses Prinzip in seiner Tragweite für das menschlichen Denken und Handeln weithin mißverstanden wird, wird von Constantin Brunner zunächst herausgestellt: "Die Menschen leben unter dem Gesetz des Egoismus, d.h. weiter, daß sie allesamt, infolge ihrer Grundverschiedenheit, grundverschiedene Interessen haben und, wo sie damit gegeneinanderstoßen, sich auch übereinander erheben, sich verachten, sich hassen; und keiner spricht je zum andern: >Bruder, wie schön ist dein Egoismus!< ... Sie denken mit ihrem ganzen Bewußtsein - mit ihrem Wissen, mit ihrem Wollen - in Wahrheit nur sich selber." (41) Der theoretische Rahmen für dieses "Gesetz des Egoismus" ist die praktisch-philosophische Bewegungslehre, wie diese in der "Lehre von den Geistigen und vom Volke", gelehrt wird. Der Leser wird von Constantin Brunner auch auf die systematische Grundlegung des praktischen Denkens verwiesen. Unser materialistisches Sein, mit dem wir uns Fühlen, Wollen und begrifflich Wissen, kommt uns in der Regel nicht in seiner materialistischen Wesenheit, der Relativität, ins Bewußtsein/Denken. Auch nicht, daß das allgemeine Urteilsvermögen immer mit den jeweiligen Interessen, mit dem der Mensch in seinem Strebenszustand eigentümlich verharrt, verbunden ist. Weil sein materielles Beharrungsstreben dem Individium nicht philosophisch-praktisch, d.h. als relatives in sein Bewußtsein kommt, wird sein praktisches Denken mit dem verkehrten Denken des materialistisch Gedachten behindert. "... das Urteil ist nichts von diesem Ganzen Losgelöstes ... ist nichts weniger als selbstständig Funktionierendes behufs interesseloser Erkenntnis von irgend etwas: man muß vielmehr verstehen, das Urteil gehört hinein in das Ganze des immer nur als Ganzes funktionierenden Bewußtseins, welches identisch ist mit dem Interesse unsres Egoismus." (42)

Zusammengehörig ist das Urteil und das Interessendenken. Nur selten wird verstanden, daß dem praktischen Urteilsvermögen kein interesselosen Gehalt zukommt: das objektive Urteile gar nicht möglich ist. "Was auch könnte sie zur Prüfung antreiben als ihr Egoismus? der sie aber keineswegs dazu antreibt; da ja vielmehr mit ihrem Egoismus das Grundvorurteil ihnen angeboren ist: ihre egoistischen Gedanken für objektiv zu halten und sich Vorurteile überhaupt nicht zuzutrauen. Und - gar nicht zu reden hier von dem zuweilen erstaunlich schnellen Schwund des Urteils vor dem Vorurteil der Gemeinschaften ... Sie bleiben in den Vorurteilen ihrer Gemeinschaften und merkens nimmer; sie merken nur den einen, der nicht drin bleibt ..." (43) Brunner lehrt, das dem allgemeinen materiellen Bewußtsein verborgen bleibt, daß das praktische Lebensprinzip konsequenter Egoismus ist. Aber noch mehr: Der Egoismus, d.h. das im Denken bewußt gewordene Gefühlte, Gewollte und begrifflich Gewußte wird nicht nur nicht als das Natürlichste der Lebenspraxis angesehen. Vielmehr wird die materielle Lebenspraxis "wegen der von uns geübten moralischen Kritik" völlig mißverstanden. "Es verhält sich mit dem Egoismus und dem Nichtbewußtsein (verkehrtes Denken der Sinnenerfahrung, R.K.) von ihm, und daß, statt des Bewußtseins von Egoismus, vielmehr Moralität und Idealismus bewußt wird - damit verhält es sich genau wie hinsichtlich des Wollens: das Wollen ist tatsächlich unfrei, aber der Wollende hat das Bewußtsein von Freiheit." (44) Die Moralkritik muß als eines der grossen Hindernisse, nicht nur des individuellen Menschen, sondern auch der gesellschaftlichen Lebenspraxis begriffen werden. Im Zeitalter der empirischen Naturforschung und der naturwissenschaftlichen Allgemeinbildung, in der die Lebenspraxis nicht mehr ausschließlich von Religion behindert wird, erscheint auch die Moralkritik nicht mehr nur religiös. "Aber die Rassentheorie! Ein ganz neues Mittel der erbärmlichsten moralischen Kritik ist da aufgekommen - nichts anderes ist unsre Rassentheorie: sie macht sich gut und die andern schlecht; sie spricht von sich selber als von der Edelrasse und nennt alle übrigen Rassen inferior und führt das auf gar keine Weise abzustreitende eigene Schlechte auf fremden Einfluß und Verführung zurück. Das ist erbärmlich." (45) Selbsterkenntnis = das nicht nur dem Anderen, sondern auch dem eigenen Strebenszustand menschliche Fehler eigen sind, wird, wegen der Moralkritik, nur selten erlangt. Mit der Moralkritik, zeigt diese sich nun in der religiösen und/oder naturwissenschaftlich-metaphysischen Äußerung, wird nicht nur die materielle Selbsterkenntnis - die eine ethische Dimension, welche mit der Ethik Spinozas vorliegt - behindert. Auch die geistige Besinnung des materialistischen Weltbewußtseins wird mit den unterschiedlichen Äußerungen der verdrehten Denkweise verfehlt.

Die materielle Selbstbesinnung ist mit der konsequenten Einsicht in die Relativität des materiellen Seins, auch des gesellschaftlichen, identisch. Mit dieser praktischen Selbsterkenntnis ergibt sich die Annäherung, an die von der verkehrten Denkweise unverstellte Lebensweise. Mit Hilfe der philosophisch-wissenschaftlichen Bewegungslehre wird diese Annäherung praktisch ermöglicht. Der unendliche Wandel der materiealistischen Welt, soweit dieser von der menschlichen Sinnenerfahrung wahrgenommen wurde, muß praktisch, d.h. auch philosophisch-ethisch erschlossen wurden sein - damit das vom materiellen Aberglauben befreite Individium im weltlosen ewigen Sein aufgehen kann. "Es gilt ein mächtiges Schauen hinter die Decke, womit alle Menschen zugedeckt sind; und von da geht es weiter zu noch Mächtigerem in immer größere Tiefe, worin dir endlich der große Trug stirbt und die große Wahrheit zu leben beginnt. -" (46) Der "große Trug", der auch mit dem oben betrachteten gesellschaftlichen Varianten in Geltung steht, welche also Manifestationen der verabsolutierenden Denkweise sind, ist erst dann völlig überwunden, wenn der Mensch sein relativ-materieles Sein  modifiziert vom absoluten Sein verwandelt lebt. Wichtig ist aber, das die völlige Befreiung von der abergläubigen Denk-/Lebensweise die Ausnahme ist. Daß das praktische, wie auch das verkehrte Verbleiben, z.B. innerhalb der gesellschaftlich bedingten Unterschiede der Bevölkerungsgruppen, die Regel ist. Dieses wird weiterhin, mit dem Bezug zum Staatsgedanken von Brunner verdeutlicht. "... der Staat ist der gegliederte Organismus der verschiedenen Gruppen, deren jede nach ihrer Naturwüchsigkeit und geschichtlichen Gewordenheit, nach ihren Kräften und Bedürfnissen einen eigentümlichen Bewußtseinskreis bildet, in dem die einzelnen leben und durch den sie dem Staate angehören; der Staat wird auferbaut durch die vielen eigentümlichen Gruppen, die untereinander in Sonderverhältnissen, zum Staat aber in dem einen Grundverhältnisse des Rechts und der Freiheit stehen." (47) Ohne den Eigentümlichkeiten der unterschiedlichen Interessengruppen und deren adäquaten Beurteilung ist weder die emanzipiert-nationale Gesellschaft, noch ihr Staat möglich. Erst mit dem modernen Staatsrecht, welches also nicht aus den Eigentümlichkeiten der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen (ebenso wenig aus der geistigen Besinnung) abgeleitet wird, steht die Gesellschaft im Verhältnis "des Rechtes und der Freiheit."

Auch wenn das Staatsrecht mit dem modernen Nationalitätsbegriff in Macht steht, bleiben die jeweiligen Eigentümlichkeiten der deutschen Bevölkerungsgruppen bestehen. Kein Individuum der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen geht völlig in ein "allgemein Deutsches", oder im Staatsrecht auf. Auch die Eigentümlichkeit der deutschen Juden bleibt, selbst bei fortgeschrittener Emanzipation, bestehen. Constantin Brunner stellt heraus, Merkmal der Juden sei: " ... daß sie überall und durch alle Zeiten wesentlich in ihrer Eigentümlichkeit erhalten bleiben; worin aber auch gleichzeitig das Gegengewicht liegt gegen die ärgere Moralkritik ... dem sie mit ihrer stärkeren Eigentümlichkeit überall sich ausgesetzt finden: sie sind dafür auch die Stärkeren an Kraft und deuten mit dem allem auf Höheres in der Menschengeschichte, dem sie gedient haben und ohne Zweifel weiter dienen werden ... dieses Höhere, was ohne Zweifel die wahre, tiefe Erklärung für ihre Besonderheit und auch für das Mysterium magnum ihrer geschichtlichen Dauer hergibt, betrifft ihr Verhältnis zur Ewigkeit. Die ewige Wahrheit, die ist allerdings über der Nationalität, über dem Vaterlande: sie ist überstaatlich, übermenschlich, überrelativ; und weil sie dies ist, bringt sie niemals in Konflikt mit dem Leben der Relativität. Wohl dem, der den Unterschied zwischen der Welt der Relativität und der absoluten Wahrheit kennt!" (48). Was deutsche Juden von den Deutschen anderer Herkunft unterscheidet, läßt sich aus der gesellschaftlichen Ebene nicht kausal ableiten. Der deutschen Juden ihr geschichtliches Verhältnis zur Ewigkeit ist ein anderes, als das der übrigen Bevölkerungsgruppen. Allerdings geht den deutschen Juden in der Regel, das vom mannigfachen Aberglauben unverstellte Verhältnis der materiellen "Relativität zur ewigen geistigen Wahrheit einerseits und zum Aberglauben andrerseits", ebensowenig auf, wie den nichtjüdischen Menschen.

Dem jüdischen Volk ging in seiner nationalen Geschichte das Ewigkeitsbewußtsein, mit dem Propheten Christi, mystisch auf. Mit dem Propheten Christus verdeutlicht Constantin Brunner den geistigen Gehalt des materialistischen Weltbewußtseins. "Kein einziger Gedanke dieser relativen Bewegungsexistenz ist wahr - wahr ist nur der Gedanke von dem absolut Einen -, die Gedanken von der Relativität sind nur nützlich, nur wahr für die Relativität ... Daher stehen die Menschen mit ihrer relativen Existenz und in ihrer relativen Auffassung des Wirklichen, wo jedem nur die Stufe seiner Vereinzelung bewußt ist, nur das ICH seines Fühlens, Wissens, Wollens, unter dessen Bedingung er die ANDERN und all das Andre erlebt, - darum stehen die Menschen feindselig gegeneinander ... und daher sind frei von den feindseligen Affekten gegen andre nur die lichtschauenden Seelen, die sich wahrhaft mit ihrem ganzen relativen Bewußtsein, mit all ihrem Fühlen, Wissen, Wollen in das Ewige, in die absolut eine Wirklichkeit erhoben haben, darin es keinen Egoismus, Kein Ich und die Andern gibt und kein Ich nach der Art der Andern ..." (49) Von diesem Ewigkeitsbewußtsein war Christus sein  materialistisches Weltbewußtsein modifiziert. Mystisch, d.h. nicht philosophisch-begrifflich und auch nicht schöpferisch-künstlerisch ging dem Propheten Christus Geistiges im materialistischen Sein auf. Der geistige Einfluß des Propheten Christi kam und kommt aber, weil in Verbindung mit den religiösen Auffassungen der Allgemeinheit, völlig verstellt in dem materialistischen Weltbewußtsein der Menschen zur Geltung. Genauer: nicht aus dem mystischen Bewußtsein wird die Kultur der Menschheit gestaltet. Die Grundlage der kulturellen Entwicklung ist nicht die geistige Besinnung und deren modifizierten Manifestationen, sondern das praktische Denken und dessen Entlarvungen der mannigfaltigen Äußerungen der verkehrten Denkweise, des verabsolutierenden Denkens.

Für die philosophisch-praktische Klärung des materialistischen Daseins muß aber nicht die geistige Besinnung, das vom verkehrenden Bewußtsein völlig unverstellte Ewigkeitsbewußtsein, in Macht stehen. Nicht zur völligen Aufhebung der materialistischen Denkweise ist das philosophisch-praktische Denken vorhanden, sondern zur systematischen Entlarvung der mannigfaltigen Äußerungen der verabsolutierenden Denkweise. Mit dem praktischen Denken wird sich aber, indem der "große Trug" immer mehr entlarvt wird, dem vom Geistigen modifizierten Weltbewußtsein genähert. Dann wird nicht mehr das verkehrte Denken, sondern die geistige Modifikation des materialistischen Weltbewußtseins, das Wichtigste. Aber nur den wenigen Geistigen geht die geistige Lebensweise, sowie deren Konsequenz, "Die Lehre von den Geistigen und vom Volk", völlig auf. Aber wie gesagt, die systematische Entlarvung des Aberglaubens wird mit der praktischen Besinnung und nicht mit der geistigen Besinnung vollzogen. Wesentliches Merkmal des philosophisch-praktischen Denken ist die systematische Einsicht in das menschliche Urteilsvermögens: das dieses gar nichts anderes ist, als egoistisches Interessendenken. "Die Frage nach dem Urteil über die Juden muß sich uns verwandeln in die Frage nach der Beschaffenheit und dem Grunde des Urteils in den Menschen überhaupt, wir müssen die Verhältnisse zwischen Beurteilten und Urteilern in Betracht ziehen und dürfen nicht die Tatsache des Judenhasses isoliert nehmen ... der Haß ... entstammt der menschlichen Natur, und in unsrem Falle sind die Juden die Gelegenheitsursache, an welcher der allgemeine Charakter der Menschheit sich offenbahrt ..." (50). Somit erfassen die Urteile der Antisemiten nicht die Relativität des menschlichen Seins. Das Interessenurteil ist für die praktisch-philosophische Denkweise gar kein Urteil, ist Vorurteil. Und Brunner ruft die deutschen Juden auf, die praktische Denkweise anzunehmen, die vernünftige Einsicht zur Verwirklichung zu bringen, und somit von der verkehrten Denkweise und den gesellschaftlichen Aberglauben zulassen. "Am allerwenigsten dürften die Juden das tun, daß sie die Judenhasser anklagen: Narren kann man nicht anklagen, weil nicht schuldig sprechen, und kein Streiten mit Gründen hat gegen sie Erfolg ... Was kann denn auch die Wahrheit sein für die Ohren und den Kopf, wo der Affekt das Herz hat ... der judenhasserische Egoismus verspricht sich viel Vorteil von einer Gemeinschaft ohne Juden: wie will man da aufklären und was Andres ernten als Mitleid, Verachtung, Haß, indem man diejenige Überzeugung zu erschüttern sucht, die auf festestem Grund ruht!?" (51)

Wer den modernen Nationalitätsbegriff und den damit zusammenhängenden Staatsbegriff, unverstellt vom verabsolutierenden Denken erfaßt, wird auch die Interessenurteile der gesellschaftlichen Interessengruppen adäquat beurteilen. Die Gesellschaft ist nicht in der Lage den modernen Nationalitäts- und Staatsrechtsgedanken, befreit vom verdrehenden Denken, systematisch zu erfassen. "Solche ... die denken, und das heißt nichts andres als das Wirkliche kennen, - solche werden, anstatt immer die Menschen verbessern zu wollen, tatsächlich die Verhältnisse verbessern; damit gehen sie den einzigen Weg, auf dem die Menschheit zum Besseren geführt werden kann, was ja doch nichts andres bedeutet als Vermehrung des Rechtes und der Freiheit - sie gehen damit den gleichen Weg wie der Staat: indem sie einen Zwang schaffen und eine Notwendigkeit schaffen. Mit der Besserung der Verhältnisse bessert's sich dann auch für die Menschen, ohne das diese selber sich bessern, und bleibt besser - bis wieder die Verhältnisse sich verschlechtern."(52) Für die Emanzipation der deutschen Gesellschaft, somit für die kulturelle Enwicklung Deutschlands ist das moderne Staats-/Nationsverständnis eine Notwendigkeit. Solange die deutschen Juden in der deutschen Gesellschaft nicht emanzipiert sind, solange wie deutsche Juden Repräsentanten des Zionismus sind, solange der Antisemitismus seine Scheinberechtigung behaupten kann, solange steht die deutsche Nation und ihr deutsches Staatsrecht nicht in völliger Macht. Constantin Brunner wies bereits darauf hin, das eine völlige Emanzipierung nicht möglich ist: das  Assimilierung nicht das Ziel des modernen Nationalstaates ist. Nach Brunner ist aber auch klar, das die weitestgehende gesellschaftliche Emanzipation erst dann verwirklicht ist, wenn die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ihre jeweiligen Interessen im Rahmen des Staates, den sie als den ihren Fühlen, Wollen, Wissen müssten, durchsetzen.

Der Rechtsstaat bekommt seine eigentliche Macht mit der praktisch-philosophischen Besinnung. Weil diese Besinnung aber nicht dem allgemeinen Denkzustand entspricht, wird der moderne Staats-/Nationsgedanke nur von den wenigen "Reifen" repräsentiert. "Ein Staat, eine Nation; und die Reifen sind verantwortlich für die Unreifen! Die über den Staat, über den nationalen Rechtsstaat die klaren Gedanken haben, die sollen reden und uns dem Sumpf und Finsternis gegen die Sonne heben, wenn sie können, und warnen vor dem vergifteten Quellen des Unrechtes; die Hetzpresse muß ihre Macht verlieren über diejenigen mit dem nicht selber denkenden Gehirn ..." (53) Diese wenigen urteilen nicht moralisch über den Egoismus des Einzelnen und den gesellschaftlichen Interessengruppen. Die Denkenden werden mit der Verbesserung der Verhältnisse dafür sorgen, das den Nichtdenkenden, die z.B. den Auschluß eines Bevölkerungsanteiles aus der Rechtsgemeinschaft fordern, solidarisch begegnet wird. "Unser Staat hätte noch einen nicht allzu großen Rest zu tilgen - er ist so groß wie die Antisemitenfrage; so groß wie die Narrheit der Antisemiten Schaden zu stiften vermag, indem man sie gewähren läßt. Es gibt für unsern Staat eine Antisemitenfrage: denn die Antisemiten wollen unsre Verfassung und unser Gesetz antasten, sie wollen das, was für Deutschland in Wahrheit die Antisemitenfrage ist, zur Judenfrage, zur politischen Frage für Deutschland machen, sie verlangen die Rechtslosigkeit der Juden und erblicken darin alles Heil: weil sie Narren sind." (54)

Der Antisemitismus ist keinesfalls eine alleinige Angelegenheit der Antisemiten und Juden. Weil der Antisemitismus grundsätzlich "antinational" ist, der Rassenhaß (wie auch die anderen Äußerungen des verabsolutierenden gesellschaftlichen Denkens) gegen die moderne Rechtsstaatlichkeit geht, behindert dieser letztendlich die Lebenspraxis aller Staatsbürger. "Alle Deutschen, die politisch reif und von gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl beseelt sind, müssen zusammenstehen gegen die Kooperation der Dummen ... von welchem den Zugführer der Antisemtismus macht. ... der Antisemitismus geht, da er antinational ist, unsre ganze Nation an, die Reaktion dagegen muß in der Nation spürbar sein; die Reaktion bringt die Heilung oder doch Milderung. Darum müssen hier die Deutschen von andrer Abstammung mit den Deutschen von jüdischer Abstammung zusammenwirken. Das ist unser aller Pflicht, die wir Deutschland lieben um seines Wesen willen und für seine Zukunft schaffen, die wir wollen, daß unsre Nation einiger werde, damit unser Staat mächtiger werde; denn Einigkeit der Nation ist der Fels, auf den allein wir die Macht unsres Staates gründen können, die einige Nation ist die sittliche Grundlage und Garantie des Staates -: wir müssen hindern, daß Deutschland verunstaltet werde und Schaden nehme von innen her ..." (55) Deutscher emanzipatorischer Patriotismus ist nach Constantin Brunner nur dann verwirklicht, wenn jedem Versuch, einer Bevölkerungsgruppe des deutschen Volkes ihr Recht am Nationalstaat abzusprechen, solidarisch, mit dem praktischen Lebensinteresse, begegnet wird.

Constantin Brunner zeigt im siebten Kapitel, von welchen Denkfehlern die deutschen Juden sich befreien müßten. Nicht nur einige praktische Hinweise werden gegeben. Auch auf jene geschichtliche Eigentümlichkeit wird der Leser verwiesen, mit denen sich deutsche Juden von ihren Mitmenschen unterscheiden. Zunächst die praktischen Hinweise. Die Zionisten sind, wie die anderen unterschiedlichen gesellschaftlichen Repräsentanten der verkehrten Denkweise, Behinderer der Verwirklichung des modernen Rechtsstaates. Gegen diese Behinderungen müßte, von Seiten der deutschen Juden vorhanden sein: "die Vaterländische Gesellschaft der Deutschen jüdischer Abstammung ... deren Hauptaufgabe sein soll, über den Staat die Gedanken zu erhellen und das nationale Bewußtsein zu stärken, die Eine Nation in sich selber zu festigen und den Tendenzen zum Verfall in Nationen und zur Schädigung des einheitlichen organischen Zusammenhanges, zum Hineinschaffen von Unorganischen in das organische Leben entgegenzuarbeiten, mit anderem Worte: das Werk der Staatspädagogik zu bestreiben,  welches zu betreiben ebenso sehr Pflicht der Nation als der Regierung ist ... Um so eher, als eine derartige Zentralstelle besteht, wird der einzelne an Gefühl der Sicherheit und an Haltung gewinnen: daran fehlt es oft." (56) Auch sollten die deutschen Juden die Begriffe Antisemitismus und Antisemiten nur dann verwenden, wenn ihnen der Sinn dieser Begriffe aufging. Eigentlich bedeuten diese Begriffe nichts anderes als Menschenhaß und Menschenhasser. Somit stehen diese Begriffe der relativ-praktischen Denkweise völlig entgegen. Die Begrifflichkeit der Antisemiten ruht nicht im philosophisch-praktischen Denken; diese Begriffe repräsentieren den verkehrt affektierten Denkzustand. Weil, für die allgemeine Aufklärung, die Ursache des Menschenhasses nicht in der Tiefe, sondern an der Oberflächlichkeit des Denkens sich finden läßt, kann der Judenhaß auch mit Oberflächlichkeiten erklärt werden. Die deutschen Juden sollten jene Namen, "an die der Haß und das Vorurteil sich heften", aufgeben.

Mit der Schaffung einer "Vaterländischen Gesellschaft", sowie der Namensänderung und der systematischen Einsicht, das die Urteile der Menschenhasser Vorurteile sind (mit welchen Urteilen sich der allgemeine Denkzustand beschreiben lässt) könnte das Selbstbewußtsein deutscher Juden gestärkt werden. Damit zusammenhängend wird ihnen ihr Wichtigstes aufgehen: "Durch das Judesein finden sie den stärksten Anlaß zur Verinnerlichung und die beständige Aufforderung, sich zu erheben über die Denk- und Anwendungsgewöhnungen der Allgemeinheit, ja überhaupt über den Standpunkt der menschlichen Relativität - sie kommen da hoch hinaus über die Erde und das auf ihr zu hörende Antisemitengeschrei. Und indem ihr Denken in sich schließt auch ihr Nachdenken über die Menschheit; indem sie wahrhaft nachdenken, so daß ihnen die Menschengeschichte aufgeht nach dem innerlichen Wesen der Gedanken, der gegeneinander kämpfenden Gedanken, die um die Herrschaft über den Menschen kämpfen ... - weil das, um was es endlich zu tun ist, hoch hinausgeht über allem relativen Interesse ..." (57) Der gesellschaftliche Aberglauben der Antisemiten kann deutschen Juden zum äußerlichen Anlaß werden, um in die geistige Besinnung zu finden! Die deutschen Juden finden mit ihrer Reaktion auf den Antisemitismus entweder zu ihren spezifischen Aberglauben - dem Zionismus - oder zu ihren Wesentlichen! Verfallen die Juden den Vorurteilen der Menschenhasser, können sie unmöglich dem wesentlichen ihrer geschichtlichen Erinnerung, dem Propheten Christus, nahekommen. Ihre individuell-praktische Befreiung vom Aberglauben der "Judenmacher", sowie die damit vorhandene Besinnung auf den Mystiker Christus hindert nicht, das deutsche Juden organischer Teil der deutschen Gesellschaft, des deutschen Nationalstaates, bleiben. Im Gegenteil! Mit ihrer Befreiung vom gesellschaftlichen Aberglauben, sowie der damit ermöglichten geistigen Besinnung könnte den deutschen Juden das abendländische "Rassenbewußtsein" aufgehen! Mit und aus dieser Besinnung könnten die deutschen Juden zur kulturellen Entwicklung des deutschen Volkes beitragen. "Nicht wahr? so fanden wir es: durch ihre Eigentümlichkeiten haben die einzelnen Menschen Teil am Leben, durch ihre Eigentümlichkeiten gehören die Gruppen von Menschen dem nationalen Leben an; im Reichtum der Eigentümlichkeiten entfaltet sich auch das nationale Leben. Wir haben gesehen: die Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse hindert dabei so wenig Deutscher zu sein wie die Zugehörigkeit zur germanischen Rasse hindert, Deutscher oder Engländer zu sein. Durch Rassenbewußtsein und Nationalitätsbewußtsein wird das Individuum nicht gespalten; wir kamen überein, daß das Rassenbewußtsein der Sphäre des Gesellschaftlichen angehört, welches dem Politischen und Nationalen nicht entgegensteht, daß vielmehr die Kopulierung der beiden gefährlich ist - auf der Hochzeit des Rassen- und Nationalbewußtseins tanzen die Antisemiten und freuen sich sich auf das Mordkind der Ehe, auf die Zwietracht. -" (58)

Mit den anderen deutschen Bevölkerungsgruppen besitzen die deutschen Juden gemeinsame Erinnerung: "als politische Deutsche haben sie, gleich den andern politischen Deutschen, die lebendige Erinnerung von der Geschichte der letzten zwei, drei Generationen und sind sie hundert Jahre alt, wie unsre deutsche Geschichte und unsre deutsche Nation. So alt sind, wie wir festgestellt haben, die Deutschen mit ihrer Erinnerung. Und mit ihrer Rassenerinnerung? Da sind die Deutschen sehr verschieden alt, die allermeisten aber gar nicht; trotz der Rassentheorie. Darauf wollen wir nun noch einmal hinsehen - ...  zur Vorbereitung der Rede der Rassenerinnerung der jüdischen Deutschen und der Juden überhaupt; mit welchem letzten wir auf das Wesen der jüdischen Eigentümlichkeit und auf ihre geschichtliche Bedeutung kommen." (59) Die Rassentheorie ist nicht nur eine Behinderung der Entwicklung der relativ-praktischen Weltanschauung. Die antisemitischen Vorurteile, wie auch der Zionismus, verhindern außerdem, das Juden und Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen zur geistigen Besinnung, somit zur Einsicht in das Wesen der menschlichen Geschichte finden. Constantin Brunner stellt nun abermals fest: "deutsches Rassenbewußtsein und deutsche Rassenerinnerung wunderbar haben wir seit hundert Jahren und bekommen wir immer wunderbarer. Aber angeborenes germanisches Rassenbewußtsein ist keines da in den nichtjüdischen Deutschen: die Judenhasser müßten erst welches machen ... Niemand kann auf der Frage: Haben die Germanen Rassenerinnerung? andres antworten als: Allerdings - jüdische Rassenerinnerung". (60) Zu fordern, das der moderne Nationalstaat in einer germanischen Rassenerinnerung oder "jüdischen Rassenerinnerung" seine Begründung finden könnte und sollte, steht dem praktischen Denken der relativ-materialistischen Weltanschauung - mit welcher die moderne Nationalstaatlichkeit zu begründen ist - völlig entgegen.

Mit der Konstruktion eines germanischen Rassenbewußtseins - mittels der Rassentheorie - wird nicht nur die adäquate politische Erinnerung und das emanzipierte (nicht assimilierte) gesellschaftspolitische Zusammenleben behindert. Die geistige Grundlage der materiellen Ebene wird mit dem antisemitischen Versuch, die "fehlende positive naturwüchsig germanische Rassenerinnerung durch die Rassentheorie ersetzen zu wollen", völlig verfehlt. Die Antisemiten verbauen sich mit ihren willkürlichen Denkkonstruktionen die Möglichkeit, sich der natürlichen positiven Rassenerinnerung zu vergewissern. Mit den antisemitischen Urteilen, die also für den denkenden Menschen Vorurteile sind, zeigt sich vielmehr: "Was aber von ihnen als vermeintliches Rassenbewußtsein der Juden geward wird, das zeigt, was sie für Leute eigentlich sind. Sie schildern das Rassenbewußtsein der Juden, das in der Lehre der Liebe besteht, als bestünde es im Haß gegen andre Menschen -: sie schildern damit sich selber, ihren eignen Haß, dem sie den Namen Rassenbewußtsein geben möchten. Das ist aber, wie ich schon sagte, nicht wahr, daß germanisches Rassenbewußtsein in Haß besteht, es ist Frevel, damit als Repräsentant des germanischen Rassenbewußtseins aufzutreten und nie und nimmer kann einer Bewegung Fortgang und Dauer verliehen sein, die sich nur durch unsaubere Mittel lebendig erhalten läßt." (61) Mit der antisemitischen Rassentheorie kann nicht gewußt werden, das deutsche Juden mit ihrer Rassenerinnerung potentielle Träger des mystischen Gedanken der Liebe sind. Obwohl besonders die Juden mit ihrer Abstammungsüberlieferung an das "Volk des Buches, welches das Buch der Völker geworden ist" geknüpft sind, sind die Juden "in all ihren Verhältnissen der Relativität" genauso wenig von der verkehrten Denkweise befreit, wie andere Bevölkerungsgruppen. Nicht nur nichtjüdischen Deutschen, auch  deutschen Juden verfehlen, so lehrt Constantin Brunner, die adäquate Einsicht in das Verhältniss des Ewigkeitsbewußtseins zum materiealistischen Weltbewußtsein. Deswegen geht der jüdischen und der nichtjüdischen Allgemeinheit die Widersinnigkeit, z.B. jüdisch-christlicher Religion nicht auf. "was seit uralters her von den Juden ausging, war andres als Religion, obgleich es überall Religion geworden ist; und die Wirksamkeit des Gedankens, deren Träger im Abendland die Juden gewesen, ist wahrlich nicht erschöpft mit dem Religiösen". Das relative Denken weißt abermals daraufhin, das den Juden ihre potentielle Eigentümlichkeit gar nicht Religion ist, sondern: der geistigen Besinnung näher zu sein als dem Aberglauben. "das allein und nichts andres ist das Wesentliche in dem psychisch-anthropologischen Charakter der jüdischen Rasse, das ist das Substanzielle ... - welcher Charakter durch den antisemitischen Menschenhaß mitbedingt ist." (63) Weil aber die Juden im Allgemeinen ebenso wie ihre nichtjüdischen Mitmenschen Repräsentanten der verabsolutierten Denkweise sind, schreibt Constantin Brunner von der Pflicht der Juden, die sie zu erfüllen hätten. Besonders von ihnen könnte und müßte der mystische Gehalt des Einheitsgedankens belebt werden.

Mit dem vom Geistigen modifizierten Weltbewußtsein sind nicht nur die wechselnden Äußerungen der verkehrten Denkweise überwunden. Auch das Prinzip des verkehrten Denkens, das verabsolutierende Denken der Dinge/Vorstellungen, ist damit überwunden. Das diese Überwindung nur wenigen gelingt, und das diese Befreiung keinem Volk vorbehalten bleibt, wird von Brunner verdeutlicht: "Die wahre Geistigkeit ist zerstreut durch alle Menschenrassen und findet sich nur in vereinzelten Individuen; keine Gemeinschaft ist als Gemeinschaft geistig; doch muß man, wie Fichte nun wiederum zu recht sagt, eine Gemeinschaft beurteilen nach ihren höchsten Stellvertretern und Anführern und, wie ich hinzusage: nach ihrer Wirkung auf die Menschheit. Sieht man nun darauf, so kann man nicht anders als den Griechen und den Juden eine besondere Stellung einräumen ... " (64) Dem frühgriechischen Denkern und dem Philosophen Spinoza kommen für die philosophische Grundlegung der materialistischen Weltanschauung eine wichtige Bedeutung zu. Dieses wurde von Constantin Brunner im veröffentlichten, ersten Teil der "Lehre", bereits behandelt. Spinoza ist aber nicht nur der Vollender des griechischen Denkens. Spinoza kommt auch bei der philosophischen Aufhellung des Verhältnisses von Prophetentum und Religion eine weltgeschichtliche Bedeutung zu. Damit ist auch der Unterschied von Philosophie und Mystik angedeutet. Das Denken Spinozas unterscheidet sich von der Mystik Christi soweit, wie Denken klar und deutlich formuliert wird.

Der Hauptgedanke von 1892, das Moses und Christus die wahrhaften Repräsentanten der Menschheit sind, das ihre mystische Wahrheit der Religion und dem Judenhaß entgegensteht, fand erst mit der "Lehre" und dem Judenhaß Buch und - wie später gezeigt werden soll - mit dem Christus Buch seine ausgereifte Beschreibung. Bereits 1892, also unabhängig von der Grundlegung des praktischen Denkens (1908), der Ausformulierung des modernen Nationalstaatsgedanken (1914) und des mystischen Christus (1921), versuchte Constantin Brunner den geistigen Gehalt des Juden=Christentum herauszuarbeiten. Die Gemeinsamkeit seines frühen Versuches und seiner späteren Bearbeitungen ergibt sich mit seiner mystischen Christusauffassung. Von einen undogmatischen, d.h. dem mystischen Juden-/Christentum erhoffte sich Brunner die Befreiung vom verkehrten Weltbewußtsein. Das diese Befreiung eine gesellschaftliche Dimension beinhaltet, darauf legte Brunner stets Wert. Aber erst mit dem Judenhaß Buch gelang es Constantin Brunner die gesellschaftliche Sphäre gebührend zu berücksichtigen. "Die Emanzipation kann gar nicht hinführen zu einer (wie wir gesehen haben, nirgendwo vorhandenen) entgliederten Allgemeinheit; ihr Ende ist nicht die Assimilation, sondern die freieste Behauptung der Eigentümlichkeit. Darum geht überall in der menschlichen Gesellschaft der Kampf; darum geht auch der Kampf der Juden. ... die Juden müssen diesen Weg und werden ihn kommen wie ein aufgehaltener Strom ... Das verlangt von ihnen, soweit an ihnen liegt, ganz aus der Fessel zu kommen - das verlangt die Selbstemanzipation, daß sie durch Christus hindurchmüssen, ohne aber daß sie deswegen aufhören, Juden zu sein." (65)

Mit der "Rede" suchte Constantin Brunner einen Ausweg aus den verkehrten, speziell dem religiösen und judenhaßerischen Weltbewußtsein. Den deutschen Juden sollte dabei eine besondere Rolle zukommen. Ihre Eigentümlichkeit ist ihr Verhältnis zum Ewigen; das reinigende Einbringen des mystischen Einheitsgedanken in die Gesellschaft sollte Befreiung vom Aberglauben bringen. Als Brunner 1914 den modernen Nationalstaatsgedanken behandelte, wurde die Bestimmung der jüdischen Eigentümlichkeit abermals wichtig. Dabei konnte die erste Fassung der "Rede der Juden" berücksichtigt werden. Aber erst mit der 1914 überarbeiteten "Rede" findet die gesellschaftliche "Bestimmung der jüdischen Rasse", deren Ausarbeitung Brunner ja mit dem Judenhaß Buch leistete, ihren würdigen Abschluß. Den für das deutsche Volk und der modernen Rechtsstaatlichkeit wichtigen Emanzipationsgedanken galt es abermals darzustellen. Mit der staatsgesetzlichen Gleichstellung der Menschen jüdischer Abstammung wurde in Deutschland der erste Schritt auf dem Weg einer lebendigen deutschen Kultur gegangen. Bereits 1892 wußte Constantin Brunner, das der zweite Schritt der Emanzipationsstufe erst gegangen wird, wenn der Emanzipationsgedanke, vom mannigfaltigen Aberglauben unverstellt, gesellschaftlich anerkannt wird. Die Einsicht, das Religion, Judenhaß und Zionismus u.a. der modernen Nationalstaatlichkeit entgegenstehen, müßte sowohl bei deutschen Juden, wie auch bei Deutschen nichtjüdischer Herkunft vorhanden sein. Erst dann, wenn dem Denken aufgegangen ist, das der Mensch nicht moralisch zu bessern ist, kann die Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse angestrebt werden.

Nun kurz zum Inhalt der "Rede", mit der das Judenhaß Buch beendet wird. Im ersten Abschnitt wird dargelegt, das mit der Auflösung der jüdischen Nation erst die speziellen Irrtümer der christlichen Religion ermöglicht wurden. Somit konnte die geistige Macht des Propheten Christus nicht mehr nur vom jüdischen Aberglauben vereinnahmt werden. Nicht mehr "das Licht der absoluten Besinnung", mit dem Christus "den Zusammenhang und die Einheit von Erkenntnis und Liebe in sich erlebend und in Andern lebendig" machte - die vielfältigen Erscheinungen der verdrehenden Lebensweise bestimmen seitdem die kulturelle Entwicklung des Abendlandes. Constantin Brunner erwartete sowohl 1892, wie auch 1914 eine Befreiung vom gesellschaftlichen Aberglauben. Zunächst schließt Brunner aus, das diese Befreiung mit orthodoxen, reformierten und zionistischen Judentum ermöglich wird. Eine Rückkehr zu den nationaljüdischen Verhältnissen ist den in der Welt verstreuten Juden nicht möglich. "Es gibt kein jüdisches Volk mehr, es gibt nur Juden, jüdische Abstammung; wir kennen kein andres Israel als das geistige Israel. Das geistige Israel aber ist unverändert geblieben, das heißt: mit dem, was uns mehr ist als unsre hiesige Welt, in ihr aber unser Haltungspunkt - ... Beides nun sind wir uns bewußt: unsre Abhängigkeit von der Tradition wie von den uns umgebenden Lebensverhältnissen." (66) In der Tradition des "geistigen Israel" stehen, beinhaltet für Brunner auch das geistige Wissen: "das Verhältnis der Menschheit zu dem wahrhaftig Wahren bleibt zu allen Zeiten das Gleiche; es ist kein Verhältnis der Endlichkeit und der Zeit, das Verhältnis zur ewigen Wahrheit ... einen andern Grund kann niemand legen; die Standpünktchen der Narren sind kein Grund." (67) Wir zeigten bereits, das die Geistigen und ihre Geisteswerke für die Konstitution des Staates, der Nation und der Gesellschaft gar nicht maßgebend sind. Das vielmehr der moderne Nationalstaat das Resultat der egoistischen Lebensweise ist.

Der Mystiker Christi - wie auch der Philosoph Spinoza - repräsentieren das von der verkehrten Lebensweise unverstellte, geistig modifizierte Weltbewußtsein. "Mit welcher Kraft und Wunderbarkeit er nimmt und trägt uns außer unseren Kreis; wie süß furchtbar sein Wort uns erweckt und bewegt, daß wir Reinheit der Seele halten, dem Ewigen uns zukehren, in uns hinein hinabdringen in seine Tiefe und es heraufführen und mit ihm das ganze endliche Weltbewußtsein durchdringen und nähren! Dieser Christus, dieser Jude - soll allein für die Juden nichts bedeuten? So versteht ihr, was wir tun werden: ihn zurückholen!" (68) Die Befreiung von der jüdisch-christlichen Religion könnte aber nicht nur den Gläubigen der jüdisch-christlichen Religion wichtig werden. Auch den Nichtkonfessionellen und den Atheisten könnte aufgehen, das die geistige Grundlage des Abendlandes, der Gedanke der "Einheit des Menschengeschlechtes", keine "Religionsphilosophie, keine Mythengeschichte, sondern eine welterfüllende Tatsache" ist. Den ethischen Hauptgedanken der Menschheit, das dieser mystisch von Christus und philosophisch von Spinoza repräsentiert wird, gilt es als Gegensinn zu den Äusserungen der verkehrten Denkweise zuzeigen. Constantin Brunner schreibt: "so wissen wir ohne Zweifel, daß Spinozas Lehre keinen andern Inhalt hat wie die von Christus und Moses, daß aber Spinoza ihr die erhabenste Formulierung gegeben." (69)

Der moderne Nationalstaatsgedanke wird von Brunner bei diesen Hinweis auf die geistige Besinnung berücksichtigt. "Und desgleichen widersprechen wir der Idee des christlichen Staates. Als Deutsche widersprechen wir ihr - denn wir sind Deutsche, wie ihr Deutsche seid, und sind Juden, wie ihr Christen seid, - was unser beiderseitiges Verhältnis zur ewigen Wahrheit betrifft, ist der Unterschied nur, daß wir, bei genauerer Kenntnis unserer Abstammung, auch mit unsrer Herkunft und Geschichte an dieser Wahrheit Haft und Halt haben. Als Deutsche widersprechen wir der falschen Theokratie, weil die der Idee unsres deutschen Staates widerspricht ... - der Staat muß in solchem Verhältniss zu allen Staatsbürgern sein, daß sie in Freiheit ihre Kräfte zum eignen Nutzen und zum Nutzen der Gesamtheit entwickeln und entfalten können." (70) Nicht die religiösen und politischen Zionisten, sondern jene deutschen Juden, denen das adäquate Verhältnis des Ewigen zum materiellen Weltbewußtsein aufgegangen ist, könnten der deutschen Gesellschaft  förderlich sein. Constantin Brunner verweißt in der "Rede" auch auf Immanuel Kant und Ernst Haeckel. Der populär-naturwissenschaftliche Monismus, wie auch die Philosophie Kants stehen prinzipell auf der selben Stufe wie das im Judenhaß Buch aufgezeigte verabsolutierende Denken. Auch diese Äußerungen verdrehenden Denkens müßten als Ausdruck der verkehrten Denkweise, mit welcher der  "Einheitsgedanken" in seiner Verkehrung begriffen wird, verstanden werden

Brunner weißt außerdem daraufhin, das der Menschheitsgedanke in der jüdischen Politik bereits berücksichtigt wurde. Im mosaischen Staat galt, z.B. die "Gleichheit aller vor Gericht". Das aber die Gesetze des jüdischen Nationalstaat nur solange Gültigkeit beanspruchen konnten, solange die Juden ein Volk waren, wird ebenfalls in der "Rede" gezeigt. "Sie waren die ersten, welche den Gedanken der Menschheit dachten, die Menschenrechte erklärten und mit dem Heroenleben und dem Heroensterben für diesen Gedanken allen den übrigen Menschen vorangingen. ... Sie brachten eine kulturelle und politische Revolution ohne allen Vergleich größer als die englische und französische - weil in dem, was sie brachten, die Revolution enthalten ist, wodurch das Leben der Völker auf eine neue veränderte Grundlage gestellt wird; weil darin prinzipiell das Ganze liegt, von welchem jene modernen Umwälzungen die Anfänge der Verwirklichung bedeuten, daß erste Aufgehen der von den Juden ausgestreuten Saat. Der Gedanke von der ganzen, einen Menschheit, da habt ihr Wurzelgedanken, Seele und Herzpunkt des Judentums, der jüdischer Rasse ...  Die Auserwähltheit, die alle Völker sich zuschreiben (deren Bann uns heute wieder unsre Rassentheoretiker ganz und gar bringen wollen), war damit bei den Juden im Prinzip überwunden, aufgehoben und an ihrer Stelle das Prinzip der einen Menschheit gesetzt." (71)

Obwohl die Macht des mannigfaltigen Aberglaubens auf das praktische Denken von Constantin Brunner immer wieder berücksichtigt wird, "besitzt" die weltüberwindene Macht der geistigen Besinnung eine stärkere Macht über der abergläubigen Denkweise - jedenfalls in den wenigen Geistigen. So denn auch mit dem Einheitsgedanken, dem "Evangelium der Liebe", von welchem die jüdischen Propheten zeugen. "Er wird nicht sterben; er ist unsterblich; er ist die Idee und das Ideal unsrer Geschichte. ... der durch die Juden verkündete Gedanke von der einen Menschheit ... vom Rechte aller Menschen: ... Der Mensch hat von Natur mit der Natur gebrochen: um der Kultur willen - dies ist seine Natur: aber niemals darf er mit der Kultur brechen, oder, was dasselbe ist, mit der Kontinuität seiner Kulturgeschichte, mit seiner Gewachsenheit und Lebensunmittelbarkeit. ... und sollte etwa die Befreiung vom Judentum darin bestehen, daß - dem Evangelium der Liebe des Nächsten und der Menschengleichheit entgegen - der Haß, die Menschenungleichheit und Menschenentrechtung nun auch will ein Evangelium sein? ... dadurch wird es schwerlich besser in der Welt der ohnehin so beschaffenen Menschen, daß ihnen, auch unbepredigt dazu, gar sehr leicht der Nächste zum Fremdlinge, zum Feinde, zum Inferioren wird. Die wenig liebenden und viel hassenden Menschen!" (72) Das der eine Menschengedanke den Juden, den Kirchenchristen, den Konfessionslosen und den Atheisten ihr wichtigstes werde, wird vom weitverbreiteten Aberglauben verhindert. In der Gesellschaft herrscht das Gesetz der nichtstaatlichen Macht. Nicht das Staatsrecht, das für alle die gesellschaftsbedingten unterschiedlichen Menschen gleich gilt, sondern das Gewaltrecht, das von den Interessengruppen welche die Macht besitzen, bestimmt wird, beeinflußen die gesellschaftliche Lebensweisen. Brunner schreibt: "Wir sind aber keine Phantasten und glauben nicht, daß ihr schnell bereit des Weges kommen werdet, auf den wir hinweisen: ihr habt nicht das Interesse, uns unser Recht wiederzugeben, wie ihr hattet, es uns zu nehmen. Gewiß, ihr habt angefangen damit, es uns wiederzugeben: in den staatlichen Bestimmungen über die Gleichberechtigung der Juden. Wir kennen diese Bestimmungen, ihr kennt sie auch - aber vielfach so, wie diejenigen das Gesetzbuch kennen, deren Sinn darauf geht, es zu übertreten ... Ja, wann werden wir Wir sein für unsre Sache?! Es steht unter uns selber nicht hoffnungsvoller und wird schwer sein, das natürliche Verhältnis wieder herzustellen ... Aber dennoch, die Zeit kommt - bis sie kommt, da ist keine Zeit und nichtsbedeutend." (73) Es dürfte klar sein, das Brunner hier die politische Dimension vom Standpunkt der geistigen Besinnung betrachtete. "Den Propheten Christus wieder ins Judentum bringen, daß er sein Recht ausübe, die Schattenwelt zu beleben ... hielt nicht eher möglich, als nach dem Beginn des Lebens und der Freiheit durch die Emanzipation und wird das erste sein und ist das einzigste von Wichtigkeit, was Israel bei seiner Emanzipation zu tun obliegt - ... Das andre alles fällt zusammen mit unsrer Teilnahme an allen den Aufgaben für die Emanzipation der ganzen Menschheit." (74) Der Juden ihre Eigentümlichkeit ist also ihr Verhältnis zum Ewigen, wie sich dieses im Mystiker Christe manifestiert. Ohne die Befreiung von der Religion und dem Judenhaß wird dieses Verhältnis nicht aufgehen können.

Das Judenhaß Buch wurde im Herbst 1918 veröffentlicht. Constantin Brunner erhoffte viel von der Veröffentlichung des staatspolitischen und gesellschaftlichen Teils der "Lehre". Diese Abhandlung könnte nicht nur allen Deutschen praktische Aufklärung zum nationalen Staatsgedanken, über die Parteien, zum Antisemitismus bringen. Auch den deutschen Juden, besonders ihnen, könnte die Einsicht in ihre Eigentümlichkeit und den gesellschafts-politischen Verhältnissen aufgehen. Bereits am 23. Oktober 1918 mußte Constantin Brunner aber ernüchternd festellen: " ... es fehlt unserm Vaterland an der Vaterlandsliebe, an der Vaterlandsleidenschaft! Darum geschieht ihm nun dies, was ihm sonst nimmer geschehen könnte." (75) Und im November: "O, die ewigen Toren, die jetzt jubeln können über die demokratische Verfassung! ... unsre Politik hat uns besiegt ... wir müssens nun leben. Wehe uns, wenn die Politik moralisch wird, schrieb ich - jetzt bekommen wir die moralische Politik zu schmecken. Hundert Jahre kanns dauern, bis Deutschland wieder auf kommt und groß wird." (76) Nach Beendigung des ersten Weltkrieges erhob sich nicht, wie von Constantin Brunner erhofft, modernes Staatsbewußtsein, mit dem Deutsche unterschiedlicher Herkunft selbstbewußt-emanzipatorisch ihre Gesellschaft gestalten. Deutschland fand sich vielmehr in der Situation, in welcher der Versuch, die Idee des emanzipatorischen deutschen Nationalstaates zu verwirklichen, gar nicht gegeben waren. Damit war der innenpolitische Rahmen geschaffen, in dem sich antinationale Interessen sammeln konnten, die, zunehmend nationalistisch-rassistische Ziele verfolgend, den Weimarer Staat zerstörten. Der emanzipatorische Staatsgedanke, wie auch die damit verbundene Stellung der deutschen Juden in der deutschen Gesellschaft wurden zunehmend diskretiert. In dieser deutschen politischen Konstelation, in welcher also die deutsche emanzipatorische Rechtsstaatlichkeit nicht den Rahmen abgab, in welchem Gesellschaft sich, befreit vom verkehrten Denken und Handeln, entfalten konnte, verlegte Constantin Brunner abermals den Schwerpunkt seiner Arbeit. Die systematische Ausarbeitung der dritten Fakultät, dem geistigen Denken, begann.
 



Anmerkungen:
 
 
1 Vergl. "Zum 55. Geburtstag". Wiederveröffentlicht in "Unser Charakter oder Ich bin der Richtige!", besonders die Seiten 25 - 37.
 
2 Siehe den ersten Teil dieser Abhandlung: Literatenzeit in Hamburg und frühe Berliner Zeit.
 
3 Vergleich hierzu den Aufsatz "Die Dynamitis und die Staatsquacksalber." Erschienen in "Der Zuschauer" Hamburg 2. Jahrgang, Nr. 19, 1894. Seite 318 - 322. "Der Staat ist ein Naturgesetz für die Individuen, die Vernichtung der Staaten bedeutet die Vernichtung der Individuen." Constantin Brunner bezeichnet die Anarchisten als "politisch Wahnsinnige". Der Anarchismus war ihm, "ein soziales Phänomen, das im innigsten Zusammenhang steht mit dem ganzen utopistischen Glauben der Zeit". Der Anarchismus leistet "für die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung" keinen Beitrag. Aufgabe der Gesellschaft und des Staates dürfte aber nicht sein, den Anarchisten ihre Überzeugungen zu verurteilen, sondern "allein ihre Handlungen, ihre gefährliche Praxis." Brunner bezieht sich bei seinen Ausführungen besonders auf Max Stirner, den er als "Propheten des Anarchismus" bezeichnet, mit dem "die Bahn der bisherigen Geschichtsentwicklung" verlassen wird.
 
4 "Der Judenhaß und die Juden", Seite 82. Die angeführten Zitate beziehen sich auf die vierte Auflage, die vom Internationalen Constantin Brunner Instituut in Den Haag herausgeben wurde. Im Folgenden als "Hass" bezeichnet.
 
5   "  Seite 82 - 83.
 
6   "  Seite 94 - 95.
 
7   "  Seite 92.
 
8   "  Seite 96.
 
9   "  Seite 97.
 
10 Brief vom 8.10.1914 an Ernst Altkirch. Unveröffentlichter Brief aus dem Brunner Briefwechsel.
 
11 Unveröffentlichter Brief aus dem Brunnerbriefwechel.
 
12 Unveröffentlichter Brief, vom Mai 1915.
 
13   "Hass", Seite 108.
 
14   "  Seite 118.
 
15   "  Seite 119.
 
16   "  Seite 129.
 
17   "  Seite 138 - 139.
 
18   "  Seite 141 - 142.
 
19   "  Seite 144 - 145.
 
20   "  Seite 149.
 
21   "  Seite 151.
 
22   "  Seite 153.
 
23   "  Seite 159 - 160.
 
24   "  Seite 167.
 
25   "  Seite 193.
 
26   "  Seite 173 - 174.
 
27   "  Seite 188 - 189.
 
28   "  Seite 192.
 
29   "  Seite 196 - 197.
 
30   "  Seite 201.
 
31   "  Seite 203.
 
32   "  Seite 218 - 220.
 
33   "  Seite 227.
 
34   "  Seite 230.
 
35   "  Seite 231.
 
36   "  Seite 247.
 
37   "  Seite 260.
 
38   "  Seite 277.
 
39   "  Seite 280 - 282.
 
40   "  Seite 285.
 
41   "  Seite 288.
 
42   "  Seite 288.
 
43   "  Seite 290 - 291.
 
44   "  Seite 292.
 
45   "  Seite 294.
 
46   "  Seite 292.
 
47   "  Seite 303.
 
48   "  Seite 305.
 
49   "  Seite 321.
 
50   "  Seite 318.
 
51   "  Seite 332.
 
52   "  Seite 334.
 
53   "  Seite 349.
 
54   "  Seite 351 - 352.
 
55   "  Seite 364 - 365.
 
56   "  Seite 372 - 373. Siehe auch den unveröffentlichten Brief vom 23.10.1918.
 
57   "  Seite 391 - 392.
 
 
58   "  Seite 392 - 393.
 
59   "  Seite 393.
 
60   "  Seite 395.
 
61   "  Seite 396.    Bereits nach kurzer Zeit mußte Brunner erkennen, das der Einfluss des Antisemitismus in der Weimarer Republik zu nahm. Die in den nächsten Jahren erschienenen Bücher von Constantin Brunner, in denen der weitere Verlauf der deutschen Republik vom Standpunkt der "Lehre" politisch dokumentiert wird, zeigt die gesellschaftliche Wandlung auf.
 
62   "   Seite 402 - 403.
 
63   "   Seite 407.
 
64   "   Seite 416.
 
65   "   Seite 421.
 
66   "   Seite 443 - 444.
 
67   "   Seite 444.
 
68   "   Seite 444 - 445.
 
69   "   Seite 456.
 
70   "   Seite 454.
 
71   "   Seite 476 - 477.
 
72   "   Seite 485 - 486.
 
73   "   Seite 502.
 
74   "   Seite 507.
 
75   "   Brief aus dem unveröffentlichten Brunnerbriefwechsel.
 
76   "   Brief aus dem unveröffentlichten Brunnerbriefwechsel.

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